Ich springe aus dem Liegestuhl. ‚Ja, hat der eigentlich kein Fahrrad?‘, tobt mein inneres Rumpelstilzchen. ‚Heute fährt man Fahrrad! Fahrrad, Junge!‘
Durch die Büsche zum Nachbarn sehe ich Konturen. Jetzt steigt er von der Maschine … Wie, was? Der Motor knattert weiter?! Im Leerlauf?! … Der geht ins Haus?! Und lässt das Ding … Ich flippe aus! … Kettensäge und Stinkbolzen am heiligen Wochenende!
Was meint der Dalai Lama nur mit „innerer Ruhe“? Wieso Ruhe? Hier hängt mein Adrenalinspiegel unter der Decke. Ich tigere hin und her. Vollkommen unerlöst. – Da! Jetzt fällt mir vor lauter Schreck auch noch das Taschenbuch aus der Hand. Der Wind schlägt die Seiten um. Dabei begann der Tag doch so friedlich! Einigermaßen. Wenigstens.
‚Wieso lässt der Sohn das Ding da knattern? Bin ich zu alt für diese Welt?‘ – Ich begreif’s einfach nicht … Ah – jetzt kommt der Felix wieder rausgelaufen. Dreht die Maschine … und macht sich vom Acker. Das Getöse wird leiser. Ein Stoßgebet und Dank für etwas Ruhe.
Ich fahre wieder runter. Lass mich langsam in den Liegestuhl gleiten. Atme aus. Ganz tief. Und spüre mit sanft anflutender Wonne, wie sich meine verkrampfte Muskulatur erholt … War ich auf Seite 8 stehen geblieben? Kommt mir vom Inhalt so neu vor. Lässt mein Gedächtnis nach?
NEIN!!! NEIN, NEIN … Jetzt rast der Hund des Nachbarn aus der Haustür. Ein Kläffer. Dem Sohn hinterher? Das hatten wir heute noch nicht. Ein lautes, schrilles „Wau“, das durch Mark und Bein geht. Fünfzehn Mal. Mindestens. Es geht nicht mehr schlimmer! Wahnsinn!
‚Vergiss den Dalai Lama!‘ Ich gebe auf. Und hadere wieder mal mit meiner Unfähigkeit, die Ruhe bewahren zu können.
Sicher – der Dalai Lama hat recht. Wir sind gelassener, wenn wir nicht bewerten. Wir sind freier, wenn wir nicht alles mit dem Verstand zerpflücken und nicht verurteilen. Aber es gelingt mir heute einfach nicht, mein inneres Rumpelstilzchen in die Hollywoodschaukel in meinem Herzen zu setzen. Dazu bin ich schon zu weit aus der Haut gefahren. Geht’s noch schlimmer?
Da! Plötzlich … Kurzschluss beim Nachbarn! – Oder … fertig? Ist das wirklich … Ruhe? Gibt’s doch nicht! Tatsächlich … ich höre nur noch das leise Plätschern vom Brunnen … Lausche in die Luft. Zweifel steigen auf … Doch nur das Vorspiel zum nächsten Sturm? … Nein! Die Stille hält. Nicht zu fassen!
Durchatmen. Und auf der schönen Seite des Lebens landen. Mensch, welch wunderbares Vakuum ist da in meinem Kopf. Eine seltene Leere. Ich kann gar nicht mehr denken. Nur noch befreit fühlen.
Aber nachher … da fange ich das Buch vom Dalai Lama noch mal von vorne an. Die ersten 17 Seiten, von denen ich nichts behalten habe. Aus dem kleinen Buch der inneren Ruhe.
Und unseren Rasen? – Den lass ich mit Sicherheit erst einmal wachsen …
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp