brown wooden bench

Freigeräumt!

Endlich. Gestern hatte ich die Energie, um anzupacken und wegzuschmeißen. Jetzt ist der Tisch leer. Freigeräumt vom Chaos. Jetzt fällt die Maserung der Holzplatte wieder mehr ins Gewicht. Und ins Auge. Der ganze Papierkram war auch viel zu aufdringlich geworden.

Wenn ein Teil zu dominant wird, gefährdet er das Gleichgewicht. Unser Hausengel, die Skulptur aus dem Baumstamm geschlagen, hat auf dem Tisch wieder mehr Raum und Platz für sich. Sein Gesicht ist kunst- und liebevoll geschnitzt. Gerade scheint sein Mund ein wenig zu lächeln. Ist natürlich nur Einbildung, aber wenn ich dieser Engel wäre, würde ich jetzt lächeln. Wäre irgendwie aufgeräumter – wie der ganze Tisch. 

Sein Leben aufräumen, den ganzen Ballast abwerfen. Reinen Tisch machen. Was hindert uns oft daran? 

„Wer weiß, wofür es gut ist?!“ pflegte meine Mutter zu sagen, wenn sie wieder etwas im Schrank verstaute. Und: „Vielleicht brauchen wir das ja nochmal. Da sind wir vielleicht nochmal froh, dass wir Vorrat haben!“ Die Kriegsgeneration sammelte, was das Zeug hielt. Wer viel verloren hatte, setzte auf Sicherheit und Besitz. Und wenn die Seife einen Pfennig billiger war, wurde gerne ein Stück mehr gekauft. Und gegebenenfalls der Nachwelt vererbt.

So hinterließen uns die Eltern kistenweise Seife, Kordeln, rostige Nägel und stapelweise Dias, die sich heute kein Mensch mehr anschaut. – Nun fällt der Apfel in aller Regel nicht weit vom Stamm.

So hatte ich unseren Esstisch mal wieder zur Hälfte mit ausgedruckten E-Mails, Büchern, Klebezetteln und Arbeitsmaterialien belegt. Bis Claudia mich fragte: „Und wo bleibe ich?“ Recht hat sie. Wir Männer gingen ins Feld, um den Bären zu jagen. Wir dehnten unser Jagdrevier aus. Und jetzt machen wir das gleiche mit unseren Hobbys. Überall nehmen wir Raum ein. Und sagen dann vielleicht noch: ’Das ist der Freiraum, den ich brauche.‘ – Männer! Das ist kein Freiraum mehr. Da liegt alles rum!!! 

Früher, in den Höhlen, konnten unsere Vorfahren die Vorräte in den Ecken verstauen. Die Höhlen der Jetzt-Zeit sind Keller und Speicher geworden. Was da alles verstaubt und Spinnweben ansetzt …

Wir müssen es ja nicht gleich so übertreiben wie „Silbermond“ im Lied vom leichten Gepäck: „Eines Tages fällt dir auf, dass du 99 Prozent nicht brauchst. Du nimmst all den Ballast und schmeißt ihn weg …“ 50 Prozent sind ja auch schon mal was …

Ich rufe Claudia: „Hier“, sage ich stolz und zeige auf die freie Fläche, „der Tisch ist leer! Der kann wieder atmen. Schau mal: Die Maserung der Holzplatte kommt wieder voll zur Geltung.“ Und unser Hausengel thront frei und erhaben. Jetzt scheint er mit sich und der Welt im Reinen zu sein. 

Reinen Tisch machen sollten wir häufig im Leben. In jeder Hinsicht.

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp