Mensch, gerade mäht der Nachbar seinen Rasen. Muss sein, klar. Aber diese Benzinrasenmäher machen ganz schön Lärm.Ist seine Wiese wirklich so groß, wie es sich anhört?
Ah, jetzt ist Ruhe … Nein, er fängt an zu flöten. Eine Melodie kann ich nicht erkennen. Er flötet schief. – Jetzt fehlt nur noch, dass der Hund kläfft … Das nicht, aber jetzt geht wieder der Rasenmäher.
Gut, es ist nicht mehr Mittagszeit. Da kann man natürlich kein Veto einlegen.
Ich war allerdings gerade dabei, mich auf unserer Terrasse auszubreiten und ein Buch vom Dalai Lama zu lesen. Und von ihm lerne ich doch immer: einfach wahrnehmen, Gedanken loslassen, die Dinge des Lebens nicht bewerten.
Das Büchlein, das ich gerade in meinen Händen halte, heißt: „Kleines Buch der inneren Ruhe“. Ich mühe mich also, das Mähen in Nachbars Garten nicht zu bewerten. ‚Nur die Ruhe!‘, rede ich mir ein. Und: ‚Es ist, wie es ist!‘ Die Steigerung ‚Es ist immer und überall so, wie es ist!‘ führt mich aber auch nicht ins Seelenparadies. Alles vergebens. Der Lärm lenkt mich ab. Die Konzentration ist verflogen. Jetzt habe ich schon 17 Seiten gelesen – und so gut wie nichts behalten. So ein Mist! Da könnte ich glatt aus der Haut fahren! ‚Es geht nicht mehr schlimmer!‘, sprühen meine grauen Zellen.
Dabei wollte ich draußen doch nur Pause machen, im Liegestuhl die Sonne genießen und dabei ein bisschen lesen … mit innerer Ruhe – und ganz entspannt.
Aber was ist das? Die Mähgeräusche ändern sich. Es macht „klock! klock!“ Aber auch: „Rumms, bumms!“ – ‚Ja, lenkt der seinen Rasenmäher immer vor die alte Eiche?‘ Ich bin entsetzt. Und hoch konzentriert abgelenkt.
Au! Jetzt knirscht und kreischt es voll metallisch! Stößt er beim Kantenschneiden etwa alle paar Sekunden vor den großen Findling in seinem Garten? – Wahnsinn. Heavy-Metal für Rasenmäher?! Volle Dröhnung auf den Ohren. – ‚Ja, stell doch gleich Riesenboxen auf!‘, ereifere ich mich. Mein Verdacht erhärtet sich: ‚Der kann nicht mähen!‘
Ich blättere zurück. Bis zum Inhaltsverzeichnis. – ‚Ruhe da drüben!‘, rufe ich in mich hinein. Und: ‚Mach Schluss, der Rasen ist kurz genug!‘, schiebt eine grantige innere Stimme noch hinterher. Jetzt tritt mein gedanklicher Kritiker auf die Bühne. ‚Du heiliger Bimbam!‘, meckert er. ‚Du fokussierst dich wieder mal nach außen, nicht nach innen. Bewahre die Ruhe!‘ – ‚Du hast gut reden!‘, motze ich ihn an. ‚Hast wohl an seinem Buch mitgeschrieben und weißt alles besser!‘ Sauer bin ich langsam. Das geht mir voll auf den Zeiger!
Ah, ein Moment der Stille. Jetzt spüre ich nur noch die leichte Brise ums Eck. ‚Er legt eine Trinkpause ein‘, denke ich. Die Ruhe wirkt aber labil. Ich nutze den Augenblick und schau mir noch mal das Titelbild des Buches an. Ein zartes Hellblau. Mit ein paar gezeichneten Lavendelblüten. Ton in Ton. Die Farbgestaltung vermittelt schon die herbeigesehnte Ruhe und Entspannung. Man gewöhnt sich ja schnell an Umweltgeräusche. Ich fahre wieder runter und beginne noch mal mit dem Vorwort. Schön, wenn man …
Himmel, jetzt knallt was … Oweiowei … Sohn Felix biegt in den Stichweg ein. Auf seinem Motorrad. Der Motor heult auf. Dreimal. Den Rasenmäher höre ich gar nicht mehr. Nur noch das Knattern des Feuerstuhls. Der Lärm nimmt kein Ende. Das erste Kapitel kann ich schon wieder knicken! Das bringt mich auf die Palme! Es geht nicht mehr schlimmer.
Wird fortgesetzt
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp