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10 Jahre „Futter für die Seele“ 

Leben wir für unsere Ziele?

„Kinder, wie die Zeit vergeht …“ Das ist nicht nur ein Ausruf, sondern ein Lied aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Muss man nicht kennen. Aber gefühlt stimmt es ja wohl. 

Vor zehn Jahren, also 2013, schrieb ich die ersten „Futter“-Kolumnen. Anfangs noch unregelmäßig, mittlerweile aber zwei pro Monat. Immer am Anfang und in der Mitte. 

Und ich frage mich: Könnte eine Tätigkeit über einen solch langen Zeitraum nicht zur starren Routine werden? Und auf Dauer langweilig? Oder ist das Durchhaltevermögen zu loben, und Beständigkeit ein Wert an sich?

Meine innere Antwort darauf lautet: Ist mir schnurzpiepegal. Wenn etwas Freude macht, ist ein Jubiläum nur eine Etappe. Eine Winke-Winke-Durchgangsstation. 

Halt, stopp! Eine Frage bleibt: In Richtung welchen Ziels will ich mich denn entwickeln? 20 Jahre „Futter“-Berichte zu schreiben? Das ist nicht mein Ziel. Es kann ja morgen zu Ende sein. Mit Ideen, mit der Gesundheit, der Lust am Schreiben. 

Natürlich suggeriert uns unsere Gesellschaft, dass wir Ziele haben müssten. Höher, schneller, weiter… Und wenn es auch einen Kredit erfordert. Es muss schon das neueste iPhone sein. Markenklamotten. Eine Reise auf dem Traumschiff. Ziele. Immer neue Ziele. Das erfordert – neben finanziellen Mitteln – auch Kraft und Ausdauer. Und überfordert bisweilen. 

Immer mehr meiner Patientinnen und Patienten kommen mit Symptomen des Ausgebranntseins in meine Praxis. Früher kannte man das „Burn-out-Syndrom“ noch gar nicht. Es ist viel mehr geworden in den vergangenen Jahren, was zu bewältigen war. Und ist. 

Zu viel!

Sebastian (Name geändert) arbeitet in einem sozialen Beruf. Neben dem Personalmangel nahm die Arbeitsbelastung für jeden Betreuer immer weiter zu. Es geht ja schon lange nicht mehr ausschließlich um den Dienst am Menschen. Da müssen Pläne geschrieben werden für den Arbeitgeber. Die Teamorganisation ist kompliziert und für zwei Schultern zu schwer geworden. Die Anzahl der Mitbewerber im Markt macht es auch nicht einfacher. Kurz und prägnant: Drei Worte reichen zur Beschreibung des Elends. „Es ist zuviel!“ Wir werden zu hilflosen Helfern. 

Marlies (Name geändert) hatte zwei Jobs nebeneinander. Den „normalen“ Beruf in zwei Schichten. Und frühmorgens noch das Austragen der Tageszeitungen im Bezirk. Da käme sie ja an die frische Luft, das wäre alles kein Problem, sagte sie. Bis sie zum Arbeitgeber zitiert wurde. Ihre Kolleginnen hätten sich über sie beschwert. Sie wäre so reizbar geworden, ziemlich explosiv in letzter Zeit. Und auch die Kunden würde sie nicht mehr freundlich bedienen.

„Dabei wollte ich doch nur mithelfen, dass wir früh im Leben unsere finanziellen Ziele erreichen. Deshalb die zwei Jobs“, sagte sie kopfschüttelnd. Nichts ging mehr. Völlig ausgelaugt war sie. 

Immer wieder liest man in letzter Zeit, dass Teile der jüngeren Generation nicht mehr bereit sind, für Konsum und andere Ziele ihr Leben zu opfern. Ihre Gesundheit. Ihr Glück. Es geht auch mit weniger. Ohne große Besitzansprüche. Ohne den ständigen Vergleich mit dem (größeren) Auto des Nachbarn.

Mir scheint dann doch eine gesündere Generation heranzuwachsen. Denn „Burn-out“ bedeutet ja in aller Regel: Mindestens ein halbes Jahr keine Kraft, keine Energie, kein Antrieb. Dafür Depression und kein Licht am Ende des Tunnels. Sechs Monate, oft länger.

Vielleicht sollten wir alle lernen, uns weniger Ziele zu setzen. Und das Verpassen von Zielen zu akzeptieren. Besser noch zu feiern. Dann geben wir dem Leben die Chance, neue Wege zu öffnen, die für uns (wie) geschaffen sind. Die uns prägen, aber nicht überfordern. Die uns Raum zum Atmen lassen. Uns vor die Wahl stellen, „ja“ oder „nein“ sagen zu können. Nicht mit dem Strom schwimmen zu müssen. Lassen wir doch öfters neue Wege zu, die das Leben uns unter die Füße schieben will. Dann brauchen wir nur noch zu gehen, ganz im Hier und Jetzt. 

Und die Zukunft? Wird sich ergeben. Mit jedem neuen Tag. Dann wird sie geschluckt vom Heute. Und morgen ist heute schon wieder gestern. 

Also … Ich plane nur noch, was geplant werden muss. Wenn ich den Koffer für den Urlaub packe. Zum Beispiel. Ich plane aber nicht mehr die Zeiten für meine Anekdoten und Kolumnen in dieser „Futter“-Rubrik. 

„Kinder, wie die Zeit vergeht“ … Ja! Aber jeder Tag ist ein neuer Anfang. Vielleicht ist es klüger, unser Leben unter diesem Aspekt zu betrachten. Und – wenn uns danach ist – einfach darüber zu lächeln … 

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp