Was ist stärker: Licht oder Dunkelheit?

Teil 2

Ein Erklärungsversuch

Leben ist in der Dunkelheit nur eingeschränkt möglich. Leben auf Sparflamme sozusagen. Leben in Kälte, in geistiger und emotionaler Blindheit. Ja, in Erstarrung.

Wenn eine Pflanze Mangel leidet, stirbt sie nicht unbedingt ab. Aber Du siehst ihr an, dass sie nicht in der Pracht ihrer Blüte steht. Sie verkümmert.

So ist es auch mit den Menschen. Wer seine Angst, seinen Hochmut, seinen Geiz nicht überwindet, verkümmert. Lebt ein Schmalspurleben. 

Licht ist Fülle. Der Gegenpol des Lichts ist der Mangel.

Wer überwiegend in den Kategorien des Mangels denkt, programmiert sich auf Verlust, auf Defizit und Schattendasein. 

Wie wertvoll das Licht für uns ist, beschreibt die buddhistische Nonne Pema Chödrön mit diesen Worten: „Wenn wir wüssten, dass wir heute Abend blind werden, dann würden wir einen sehnsüchtigen Blick, einen wahren letzten Blick auf jeden Grashalm, jede Wolkenformation, jedes Staubkorn, jeden Regenbogen, jeden Regentropfen werfen – eben auf alles.“

Dunkelheit können wir aber nicht nur real, sondern auch seelisch oder spirituell interpretieren. Als seelische „Dunkelheit“ können wir unsere eigenen Schattenseiten verstehen. Unsere eigenen „Kellerkinder“: Den Schmerz, die Wut, den Neid, die Begierde, die Depression, die Scham, die Wertlosigkeit … und Vieles mehr. 

Bei Licht betrachtet, dürfen wir unseren eigenen Schatten Raum und Weite geben. Wir können sie nicht loswerden. Sie gehören zu uns. Wir sollten lernen, sie anzunehmen und zu integrieren. Machen wir uns also vertraut mit ihnen.

Viele Menschen stellen sich aber auch in spiritueller Hinsicht die Frage: Werden in naher oder ferner Zukunft auf diesem Lernplaneten Erde Licht und Liebe überwiegen? Oder werden die dunklen Mächte, werden Krieg und Hass die Oberhand behalten?

Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Aber eine Patientin ließ mich vor einigen Jahren an ihrer Sichtweise teilhaben. Ich finde sie verblüffend einfach, aber wirklich überzeugend. Sie erzählte mir folgendes Beispiel:

Stell Dir vor, Du stehst mitten in einem völlig abgedunkelten Raum. Du kannst Deine Hand nicht mehr vor Deinen Augen erkennen. Keinerlei Lichtschimmer fällt in das Zimmer. Alles ist stockfinster. Ein konturloses Schwarz.

Du beginnst nun, in diesem „schwarzen Loch“ nach der Türe, dem Ausgang zu suchen. Du tastest Dich ganz langsam vor, machst ganz kleine, vorsichtige Schritte. Es dauert … Aber irgendwann fühlst Du die Türklinke. Nimmst sie ganz in Deine Hand … und reißt jetzt mit einem Ruck diese Türe auf.

Was geschieht? 

Das Licht fällt ins Dunkel – und nicht das Dunkel ins Licht. 

Innen wird es heller – außen aber nicht dunkler. 

Es ist einfach wahr: Letzten Endes besiegt das Licht die Dunkelheit. Denn der Schatten ist nur der Platzhalter für das Licht.

Diese Erkenntnis hat nichts mit Esoterik zu tun. Das ist reine Physik. 

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp