Ich hab nichts ausgelassen

Das stimmt nicht so ganz. Bei Drogen war ich immer vorsichtig. Meine erste Erfahrung wurde im Keim erstickt. Am Psychologischen Institut in Münster mussten wir in den ersten Semestern fünfzig Stunden „Versuchskaninchen“ spielen, also an wissenschaftlichen Experimenten teilnehmen. Da las ich am Schwarzen Brett den Aushang: „Malen unter LSD. Wer Interesse hat – bitte melden.“ Das war 1970. Ich war sofort Feuer und Flamme, hatte ich mich doch schon früh mit dem „Drogenpapst“ Timothy Leary beschäftigt. Und der Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds” wurde ja auch den LSD-Trips zugeordnet. Außerdem lagen mir Malen und andere Formen der Kunst immer schon am Herzen.

Was würde ich unter Einfluss von LSD zu Papier bringen? Abstruse Kritzeleien oder nie gekannte kreative Werke? Ich war sehr gespannt.

Der Vater meines Schulfreundes, praktischer Arzt, riet mir allerdings dringend von diesem Experiment ab. Die Folgen seien unabsehbar. Und kurze Zeit später war der Aushang vom Schwarzen Brett verschwunden. Das Experiment fand endgültig nicht statt. Danach war mir die Lust an Drogenexperimenten vergangen. Gut so?

Manchmal bin ich auch zu weit gegangen. Das Leben pfiff mich aber schnell zurück. Oder mein Körper. Mein innerer Kritiker. Die Einsicht, die Vernunft. Der Überlebenswille. Oder meine Hausbank, wenn ich den Überziehungskredit meines Girokontos mal wieder überschritten hatte.

Andererseits: „Nur diejenigen, die es riskieren, zu weit zu gehen, können herausfinden, wie weit sie gehen können.“ (T.S. Eliot) Mit anderen Worten: Nur wer zu weit geht, erkennt, wo die Grenzen liegen.

Das kennen wir auch aus sehr erfolgreichen Kinoproduktionen: im ersten Teil der Trilogie „Herr der Ringe“ äußern die Freunde von Frodo Beutlin, dem Hobbit, an der Grenze des Auenlands: „So weit sind wir noch nie gegangen.“ Ein mulmiges Gefühl … Dann überschreiten sie zum ersten Mal die offene Grenze zwischen ihrer Heimat und einem fremden Territorium. Die Heldenreise beginnt …

Wie verläuft die „Heldenreise“ Deines Lebens?

Wenn Du die Entscheidung zum Aufbruch, zur Veränderung getroffen hast und klar und offen bist, Dich in bestimmten Bereichen neu zu erfahren – dann stehst Du an einer Schwelle. Sie trennt die Welt Deiner Gewohnheiten, Absicherungen und Komfortzonen von der Welt des Neuen, Unbekannten und Abenteuerlichen. Hier schlummern auch Deine nicht bewussten Ressourcen und Fähigkeiten. Eins ist jetzt wichtig: Wenn Du die unbekannten Seiten Deiner Persönlichkeit kennenlernen willst, wirklich und wahrhaftig erfahren willst – dann geh Deinen Weg mit Deinem ganzen Mut und mit Deinem ganzen Herzen. Geh ihn – und dreh Dich nicht mehr um.

Die Hobbits in der Tolkien-Verfilmung „Herr der Ringe“ ließen sich auf den fremden und gefahrvollen Weg nach Mordor, zu den Feuern des Schicksalsberges, ein. Und sie ließen keine Erfahrungen aus: Zweifel, Angst, Verrat, Hoffnung, Freundschaft, Vertrauen, Enttäuschung, Liebe. Die inneren und äußeren „Dämonen“, die inneren und äußeren Mutmacher.

Der französische Autor Arnaud Desjardins (1925 – 2011) gibt uns den nötigen Rückenwind. Er schreibt: „Habe den Mut, Dich ins Leben zu stürzen, Risiken einzugehen, Rückschläge einzustecken, in dem Wissen, dass Du dem Spiel der Gegensätze ausgesetzt sein wirst – also Erfolg und Scheitern, Glück und Unglück, Lob und Tadel …“

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp