Als ich an meiner ersten psychologischen Fortbildung nach dem Ende des Studiums teilnahm, lernte ich wieder einmal, dass unser Leben auch Verzicht bedeutet.
Gut, ich hatte früher schon auf vieles verzichtet, wie jede*r von uns. Denn auf alles, für das wir uns nicht entschieden haben, verzichten wir. Manche verzichten freiwillig auf ein Auto und den Fernseher. Oder entscheiden sich bewusst, vegetarisch oder vegan zu leben.
Was aber, wenn zwei Interessen miteinander kollidieren?
Am Ende der Fortbildung ging es um die Festlegung des Folgetermins im kommenden Herbst. Für viele schälte sich ein favorisierter Termin heraus, der mir aber nicht passte. An diesem verlängerten Herbstwochenende hatte ich schon eine mir wichtige Einladung angenommen. Ich hörte mich sehr spontan ausrufen: „Da kann ich nicht!“
Der Trainer lächelte mich an und sagte: „Stell Dir vor, Du hast einen Riesenhunger. Das Wasser läuft Dir buchstäblich im Mund zusammen. Und stell Dir weiter vor: Du hältst jetzt ein Hühnerei in Deiner Hand. Ein einziges, schönes, großes, weißes Hühnerei. Du denkst nun daran, was Du damit alles machen könntest, um Deinen Hunger zu stillen. Du könntest das Ei kochen. Du könntest aber auch ein Spiegelei daraus machen oder ein Rührei.“ Dann schwieg er eine Weile, um danach zu fragen:
„Was machst Du jetzt?“ – „Ja“, sagte ich achselzuckend, „da ich aus einem einzigen Ei nicht dreierlei machen kann, muss ich mich wohl entscheiden.“ Der Trainer lächelte und schwieg.
Als ich mich entschieden hatte – für die Fortbildung, die mir sehr am Herzen lag –, kehrte bei mir eine tiefe innere Zufriedenheit ein.
Ich habe die Einladung abgesagt. Und die Zufriedenheit lehrte mich, dass Verzicht sehr wertvoll sein kann.
In Japan heißt es: „Der Tag, an dem du einen Entschluss fasst, ist ein Glückstag.“
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp