In unserer Klausur sollten wir einen „Fall“, einen imaginären Patienten, vom Befund, der Hintergrunds- oder auch Verhaltensanalyse bis zum hoffentlich erfolgreichen verhaltenstherapeutischen Behandlungskonzept beschreiben und Lösungen erarbeiten. Drei Stunden Zeit.
Und dann steht auf der ersten Seite zur Überwindung der Schreibblockade des Prüflings beispielsweise:
„Ja, wenn ich in die Kneipe geh
und all die schönen Bierchen seh,
und Thekenplätze sind noch frei …
dann – hundertpro – bin ich dabei!“
Oder da steht, weil es Deinem Gehirn entspringt: „Eines schönen Tages hatte ich Lust auf die schärfste Currywurst unterm blauen Himmelszelt“ … Und das wird dann ausgeführt, bis Du ins Fließen kommst und ins Klausurthema findest.
Ja, sag mal … das war doch ein Harakiri-Vorschlag von unserem Prof, oder? – Hab ich nicht übernommen, aber für seine Spinnereien habe ich ihn gemocht.
Da kann man sich nämlich so schöne Sachen ausdenken, was schreibgehemmte Naturen alles zusammen schreiben könnten, um sich über kurz oder lang auf die richtige Bahn zu bringen.
Das gibt unserer Fantasie ja freien Raum … Stopp! Fantasie – ja, das ist doch mal ein Thema.
Donnerwetter! Ich glaube, ich habe alles, was da bis jetzt steht, nur geschrieben, um ins eigentliche Thema zu finden. Jetzt gehe ich aber nicht mehr in die Bar. Jetzt bin ich gelandet. Bei der Fantasie. Die hat mir mein Unterbewusstsein geschickt. Die kam zu kurz in letzter Zeit. Wer immer für die Deutsche Rentenversicherung und andere Institutionen psychologische Befundberichte schreiben muss, bei dem bleibt die Fantasie auf der Strecke. Jetzt bin ich anscheinend wieder angekommen bei dem, was mich auch ausmacht: fantasievoll zu schreiben.
Jetzt versuch Du doch auch mal, dahin zu kommen. Wahrscheinlich brauchst Du überhaupt nicht so viele Sätze wie ich, um zu dem Thema zu finden, das bei Dir auf der Strecke geblieben ist.
Nicht zu glauben: Jetzt bin ich bei der Fantasie angekommen. So viel geschrieben ohne Sinn und Verstand. Nur um zu erfahren, dass mir in diesem Experiment einfach die Fantasie gefehlt hat.
Übrigens: Wenn Du keine Lust zu dem hast, was ansteht – oder mehr über Dich erfahren willst –, dann lege Dir ein leeres, weißes Blatt vor Deine Nase. Und lass Dich einfach auf dieses leere Blatt ein. Einfach auf der leeren Seite anfangen. Mit der Hand. Schreib einfach drauflos – und schau, wohin Dich Dein Unterbewusstsein treibt. Du wirst auf jeden Fall neue Erfahrungen über Dich machen und Deine inneren, verborgenen Wünsche besser kennenlernen.
Also – leere Seite … und einfach anfangen! Macht irre frei! Und ist gar nicht so schwer. Das weiß ich jetzt.
Übrigens: Das alles ist intellektuell abgesichert. Schon Albert Einstein wusste: „Fantasie ist wichtiger als Wissen.“ Denn Wissen ist begrenzt.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp