Dieser Text erfordert eine Einleitung, denn er ging bei Claudia nicht durch die Zensur. Mit diesem Text wäre ich ja wieder bei „Dada“ angekommen. Dabei schätze ich die Kunstrichtung des Dadaismus aus den 1920er Jahren sehr – besonders im Kontext der damaligen Zeit. Nun gut, nicht jeder mag Dada …
Ich habe mich über ihre Bedenken hinweggesetzt, bin aber nicht irritiert, falls Du Claudia zustimmst. Man kann nicht immer einer Meinung sein. Das wäre ja auch langweilig. Der Text geht so …
Herbst. Jetzt sitze ich hier. Am Abend des Tages in einem Hotel. An einem kleinen Tisch mit gelblich eingefärbter Decke. Auf meinem Zimmer. 22 Uhr und 10 Minuten zeigt meine Uhr.
Es ist einer dieser Tage, die nichts mehr vorgeben. Nichts ist zu erledigen, nichts vorzubereiten …
Was jetzt? Ins Bett gehen? Runter in die Bar? Ne Runde Fernsehen?
Es gibt Momente, da stehen die Türen offen und Du weißt nicht – gerade in diesem Moment nicht –, was jetzt? Vielleicht fällt die Entscheidung in 10 Sekunden. Vielleicht auch nicht. Und Du fragst Dich: Ist das jetzt Langeweile, was da im Hintergrund passiert? Oder Unentschlossenheit, innere Bremse? Oder sind Körper, Geist und Seele bei Dir in kollektive Lethargie verfallen? – Ich blicke selbst nicht durch, warum ich mich hier und jetzt zu nichts durchringe.
Da! Gerade kommt der Impuls: Wage ein Experiment. Fange an zu schreiben.
Briefpapier liegt ja hier.
Aber Du hast gerade keine Idee, über was Du schreiben kannst. Also fällt Dir jetzt auch gar nichts ein. – „Das ist ja spannend“, denke ich. Einfach so vor mich hin schreiben, ohne den nächsten Satz zu erahnen, geschweige denn zu kennen. ‘Ja, das ist doch mal ein schönes Spiel‘, schießt es mir durch den Kopf. ‘Mal sehen, was mein Unterbewusstsein mir aufs Blatt sendet.‘
Gerade mal nichts. Ich stocke beim Schreiben. Also schreibe ich nieder, dass ich gerade beim Schreiben stocke. So, das steht jetzt hier. – ‘Ist das eine Schreibblockade?‘ denke ich.
Da fällt mir ein, dass unser Prof im Studium uns kurz vor der Klausur – im Fall einer Schreibblockade – den Tipp gab, beim Vorschreiben … wir sollten mit der Hand vorschreiben, den PC gab es ja nicht, der war noch nicht erfunden …, also beim Vorschreiben einfach am Anfang zu kritzeln: Hier sitze ich, und ich weiß noch nicht, wie ich die ersten Zeilen der Klausur ausformulieren soll … Und zwar so lange, bis man im Thema ist. Und erst am Ende, wenn wir „eingeschrieben“ und fertig sind, sollten wir den Anfang wegschmeißen und neu formulieren. Das wäre gut gegen die Schreibblockade. Dann kämen wir schneller in den Fluss.
Klar, aber das muss man sich ja erst mal trauen: von seiner kostbaren Klausurzeit die ersten zehn oder zwanzig Minuten abzugeben an einen Blödsinnstext, der am Schluss neu formuliert werden muss.
Nun gut, aber jetzt stell Dir doch mal vor, Du textest die erste Seite beim Vorschreiben wegen Deiner Schreibblockade in reiner Nonsensform, schreibst über die Wolken am Himmel, die Tücken des Wetterberichts, die letzten krummen Lottozahlen … Und am Ende der Klausur hast Du gar nicht mehr die Zeit, den Anfang dem Thema anzupassen. Und Du musst Deinen Schreibblockaden-Überwindungs-Katastrophentext als Einführung ins Thema stehen lassen und übernehmen.
Wird fortgesetzt
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp