Winter. Im Januar zieht sich die Zeit. Gut, bei uns im Rheinland ist Karneval. Da kann man schon mal mit klar kommen, mit den farblosen Tagen. Also, vor allem die Pappnasengesichter helfen. Aber für viele ziehen sich die Tage. Auch wenn sie wieder länger werden.
Heute ist die Erde winterhart gefroren. Alles hat sich auf Zeitlupe eingestellt. Mutter Natur ist nicht im Stand-by-Modus, sondern ganz auf Tauchstation gegangen.
Schnee liegt hier nicht so oft, am flachen Niederrhein. Oder taut schnell weg. Wenn der Wind nicht so biestig ums Haus blasen würde, wäre hier nichts los. Da würde sich nichts bewegen. Da könntest Du einen Film vom weißen Feld da draußen drehen und hättest das Gefühl, die Landschaft wäre ein Bühnenbild.
Eine lange Weile legt sich über das Wäldchen gegenüber. ‘Natur in Trance‘, denke ich bei mir. Auch zum Vogelfutter dahinten am Baum fliegt heute nichts und niemand hin. Das Röhrchen mit der Wintermischung hängt wie bestellt und nicht abgeholt.
Es geschieht fast nichts. Wie schwer es doch ist, die Einfachheit auszuhalten! Das Auge findet kaum einen Halt. Die Unterscheidbarkeit ist futsch. Draußen nur weiß getünchte Landschaft.
Und ich bin gerade dabei, meine Notizen abzubrechen. Das interessiert doch keinen, schießt es mir durch den Kopf. Was soll ich auch schreiben, wenn es nichts zu unterscheiden gibt?
Jetzt schau doch mal genauer hin, mahnt eine innere Stimme. Schau Dir doch diese Schneekristalle über dem Wintergrün an. Eine einzige, alles beherrschende Farbe. Reduktion, Minimalismus pur. Tabula rasa. Nichts scheint vorgeprägt. Alles offen für einen Neubeginn.
Ich stehe am Fenster – und denke gerade an Yves Klein, den französischen Konzeptkünstler. Arbeiten mit nur einer einzigen Farbe war sein Stilmittel. Der hat sich seine monochromen Farben sogar patentieren lassen. Viele seiner Werke sind reine, einfarbige Flächen. Sie lassen tief blicken. Blau, gold und rosa.
Einfarbig – wie der Winter. Reduzierte Leinwände – und doch irgendwie erhaben.
Zurücknehmen, das gelingt uns Menschen meistens nicht so gut. Dabei sagte Laotse, der chinesische Philosoph, schon im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung: „In Einfachheit und Veredelung liegt Reichtum.“
Gut, mit diesen Augen betrachtet, veredelt in diesem Moment der Schnee den Garten. Nur zwei Meisen und die Katze des Nachbarn hinterlassen kleine Spuren. Wenn Du die Augen weitest, spürst Du die Stille über dem Weiß.
‘Wie hektisch gestalten wir doch unser Dasein!‘ fährt es mir durch den Kopf. Und wie chaotisch. Zerbrochene Scherben einer Vase, unverbundene Flickenteppiche – das ist häufig unser Leben. Brüchig sind wir.
Das Weiß verbindet. Legt sich über alles. Unberührt, ungebrochen.
Der Winter ist ein Abschied vom Übermaß. Und, richtig betrachtet, ist er vor allem ein wundervoller Platz im großen Gemälde des Lebens. Wir können es auch mal von dieser Seite sehen.
Und deshalb sollte diese Geschichte nun doch zu Ende geschrieben werden.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp