Die Handlung vorher erspare ich mir. Aber die letzten zwanzig Minuten sind gut. Die schaue ich mir auf DVD auch immer mal wieder mit Patienten an. Vor allem, wenn sie davon überzeugt sind, sie hätten im Leben nichts geleistet und völlig unnütz gelebt. Sie seien nichts wert, fänden also auch keine Anerkennung, und das Leben sei sowieso sinnlos.
Dann passen die letzten zwanzig Minuten. Es sind lebensbejahende Szenen.
Also, ich zeig’s immer ab dem Dreh auf der Brücke: James Stewart (als George Bailey) hat gerade mit seiner Privatbank Pleite gemacht und rennt nun wie von Sinnen an Heiligabend auf diese Brücke, um sich von ihr in die eiskalten Fluten zu stürzen. Während zu Hause seine Frau und die vier Kinder den Tannenbaum schmücken. Kurz und gut: Ein Engel ohne Flügel – also ein Engel zweiter Klasse – mit Namen Clarence wird vom Himmel hinab gesandt, um Georges Freitod zu verhindern. Wie nicht anders zu erwarten, rettet er ihn, denn er muss sich durch eine gute Tat noch seine Flügel verdienen.
Und als der durch Fremdverschulden pleite gegangene Bänker ausruft: „Ich wünschte, ich wäre nicht geboren!“, klingelt es beim Engel. Er bekommt vom Himmel den Auftrag, den Film zurückzuspulen. Und so laufen zu lassen, als hätte es George Bailey nie gegeben. Clarence: „Dein Wunsch wird Dir erfüllt!“
Beide gehen in die Stadt zurück. Niemand erkennt ihn. Sein Haus wurde nie gebaut. Seine Frau ist unverheiratet geblieben. Kinder? Fehlanzeige. Selbst seine Mutter erkannte ihn nicht. Sie hatte ihn ja nie geboren.
Die Stadt hieß auch nicht mehr „Bedford Falls“, sondern „Pottersville“ nach seinem größten Konkurrenten, und war eine Hochburg des Lasters geworden. Er konnte ja nicht (wie im ersten Teil des Films) gegensteuern, weil es ihn – in dieser Version – nie gegeben hatte.
Engel Clarence sieht seine Stunde gekommen. „Du hast die große Chance“, sagt er zu George. „Du kannst sehen, was ohne Dich aus der Welt geworden wäre.“
Kurz und knapp, ganz gleich, wie er vor Verzweiflung taumelte, er konnte nichts bewegen, keine Fußspuren hinterlassen. Denn er hat ja – in der Prüfung des Himmels – nie gelebt.
Als sich George aber aus Verzweiflung die Lunge aus dem Leib schrie: „Ich will wieder leben. Bitte Gott, lass mich wieder leben!“ hatte der Spuk ein Ende.
Und es war klar: Wenn ein Menschenleben fehlt, gibt es sofort eine große Lücke.
Dieser Kontrast, liebe Leserin, lieber Leser, lässt bei mir sämtliche Weihnachtsglöckchen läuten. Denn George hatte im normalen Leben echt wichtige Spuren, große Fußabdrücke hinterlassen. Er wusste es nur nicht, hatte es nie so gesehen.
Ja, so gab es an Heiligabend natürlich ein Happy-End, alle sammelten Geld für ihn, so dass er nun doch nicht pleite war – und Clarence, der Engel zweiter Klasse, bekam endlich seine Flügel und wurde befördert. Jedoch nicht, ohne George ein Buch mit der Widmung zu hinterlassen: „Ein Mensch, der Freunde hat, ist nie ein Versager!“
Und ich stelle auf einmal fest, dass ich gar nicht mehr müde bin, nachdem ich mich in diese Geschichte hinein geschrieben, ja hinein gesteigert habe.
Also, nicht vorschnell antworten: „Ich habe keine Spuren in meinem Leben hinterlassen.“ – Auch wenn Du beim Sonnenaufgang liegen bleibst. So wie ich.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp