Die Zappelei auf der A3

Teil 1

Mitte der 1980er Jahre. Ich war eingeladen, in Trier auf einem Kongress für experimentelle Psychologie einen Vortrag über meine Dissertation zu halten. Claudia begleitete mich. Sie ist nicht nur eine gute Zuhörerin, sondern kann durch ihren Blickkontakt und ihr Lächeln jeden Vortragenden außerordentlich aufmuntern.

Wir fuhren also auf der A3 so vor uns hin. Überall Felder … Nichts Außergewöhnliches geschah an diesem Samstagvormittag – bis auf Höhe des Westerwaldes.

Auf einmal sah ich in gut hundert Metern Entfernung eine Ansammlung von Menschen hinter der rechten Leitplanke stehen. Sie gestikulierten, scheinbar aufgeregt, als ein Tier … um Gottes Willen … es war ein mittelgroßes Hausschwein … nicht mehr zu halten war und quer über die Fahrbahn sprang. Fünfzig Meter vor uns.

Steuerrad rechts, links … fast die Leitplanke touchiert. Man glaubt ja nicht, was ein Herumreißen des Steuerrades bei Tempo 130 bedeutet, welche Auswirkungen das haben kann.

Das Schwein heil umkurvt. Die Menschen hinter der Leitplanke, das Schwein irgendwo am Mittelstreifen? Für einen Blick in den Spiegel reichte die Kraft nicht. Ich weiß noch, wie meine Hände das Lenkrad umklammerten, um nicht aus der Spur zu geraten. Der erste Schock half mir kurzzeitig, mich zu fokussieren. Bis auf einmal ein, zwei Kilometer später, zunächst meine Hände, dann mein ganzer Körper zu zittern begannen. – Warum? Ich konnte mir das nicht erklären, ich war doch nicht krank. Ich spürte nur intuitiv: rechts auf den Standstreifen – ausrollen. Wagen abstellen. Auszittern.

Nach wenigen Minuten ließ diese Zappelei nach. Wir konnten weiterfahren.

Viele Jahre später lese ich einen Bericht über die Stressbewältigung im Tierreich. Nehmen wir als Beispiel den Überlebenskampf einer Gazelle, wenn sich eine Löwin herangepirscht hat. So einseitig, wie wir denken, ist der Ausgang nicht. Denn die Löwin, der Löwe, braucht durchschnittlich dreißig Anläufe, springt dreißig Mal daneben, bevor es gelingt, eine Gazelle zu reißen.

Und die Gazelle? Ihr Stammhirn kennt bei Gefahr nur drei Handlungsebenen: entweder Kampf oder Flucht – und dann noch den „Totstellreflex“, die Erstarrung, den „Freeze-Zustand“. Das ist bei uns Menschen genauso.

Gelingt es der Gazelle, sich zu befreien und hunderte Meter weit weg zu springen, weicht das Stresshormon Adrenalin aus ihrem Leib, indem sie steht und am ganzen Körper zittert. Instinktiv schüttelt sie sich die Todesangst und ihren Stress weg. Danach grast sie ganz ruhig und friedlich weiter. So, wie wir auch ruhig weiterfahren konnten.

Ist das kein tolles Selbstmanagement? Wenn Tiere unter Druck geraten, schütteln und zappeln sie sich die Erregung aus ihrem Körper heraus.

Wird fortgesetzt …

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp