Steffi on FLOW

Beim Reifenwechsel (2)Teil 2

Dann kam der Juli 2019: Steffi schrieb mir, dass etwas geschehen sei.

Etwas „Supertolles, therapeutisch Wertvolles und Fantastisches. Etwas, was meine Seele geschafft hat. Und was gut für mein gebrochenes Herz ist: Ich vergaß meinen Hochzeitstag. Nicht eine einzige Sekunde kam eine Erinnerung hoch. Kein Kopfkino. Kein Traurigsein. Keine Tränen. Kein Gedanke an die Vergangenheit … nichts, nada … ist das nicht unglaublich toll???!!!“

Und sie steigerte sich so in diese Freude hinein, dass sie diesen Moment nur noch genießen konnte, als sei sie soeben ein zweites Mal geboren worden. Endlich war sie frei. „Dieses besondere und tiefe Gefühl, was mich da fast überrannt hat, kam so total unerwartet. Es hat mich im positiven Sinn voll umgehauen.“ Und: „Das Gefühl hält an – und ein Lächeln steht mir im Gesicht.“

Zum Abschied schrieb ich ihr: „Manchmal ist es gut, in der Ferne zu wachsen und zu reifen. Unser Bewusstsein ist nie ‚fertig‘. Wir sind wie Wanderer zwischen den Welten. Genießen wir unsere Zeit. Und, liebe Steffi: Sie sind eine ganz tolle, starke Frau!“

Sie erwiderte mit einem Päckchen. Mit einer Weltkarte zum farbigen Ausmalen all der Länder, die man bereits in seinem Leben besucht hat. Daneben lag ihre Ermunterung: „Reisen Sie. Genießen Sie das Leben. Seien Sie auch für sich und Ihre Frau da, nicht nur für Ihre Patienten.“ – Danke, liebe, mutige Steffi. In der Tat: Die Weltkarte verliert langsam einige ihrer weißen Flecken.

Fast habe ich mich in diese Erinnerung hineingeträumt. Hier, in der Kundenwartezone des Autohauses, gelingt es ja auch wunderbar, die Zeit zu dehnen. „Es dauert fünfundvierzig Minuten“, sagte die Angestellte an der Auftragsannahme. Neunzig sind es bis jetzt geworden. Auch okay …

Eine Kundin im Zwei-Meter-Abstand schließt die Augen. Ich hatte sie gar nicht bemerkt, als sie in den Raum kam. Ihr Partner daddelt am Handy. Entschleunigung kann wie eine Reise sein … Genussvoll.

„Herr Rupp!“, ruft die Dame an der Kasse. Ich zucke zusammen. „Ihre Winterreifen sind eingelagert.“

Den Sommer genießen – trotz Corona? – Klar! „Genießen“ heißt doch immer auch: Augen und Herz öffnen für das Leben. Und die werden von der Mund-Nasen-Maske ja nicht bedeckt …

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp