Wenn Du diese Überschrift liest, fällt Dir dann ein: „Ich bin schockiert. Mein Leben läuft davon!“? – Oder denkst Du: „Toll, jeder neue Tag ist ein Geschenk!“? – Natürlich kannst Du auch „dazwischen denken“: „Viele Jahre sind weg … Aber es bleibt ja noch was.“
Woran Du wieder einmal erkennen kannst, dass Dein Denken, Deine Bewertungen und Interpretationen, Dein Leben bestimmen. Soweit, so gut – oder auch nicht.
Aber mit diesem Spruch hat es noch etwas anderes auf sich. Du kannst die Uhr nicht mehr zurückdrehen.
Oder wie mein über 80-jähriger Mentor Dr. Wolf Büntig zu sagen pflegt: „Alles, was war, ist genauso gewesen.“
Dieser Satz, dieses Eingeständnis, dass wirklich war, was geschehen ist, diese radikale Akzeptanz aller Ereignisse und Vorfälle, aller Verletzungen und Traumatisierungen, hat etwas Versöhnliches. Es muss nichts Verzeihendes in sich tragen. Es ist nicht entscheidend, ob Du dem Täter, den Grausamkeiten des Lebens, der Fülle an Ungerechtigkeiten, die über Dich gekommen sein mögen, verzeihst. Du musst keinem vergeben. Das steht Dir gar nicht zu. Das können wir einer spirituellen Energie, einer höheren Instanz, anvertrauen.
Es geht nur um Dich und Dein (Über-)Leben.
Der Dalai Lama sagte sinngemäß: Verzeihen ist radikal egoistisch. Damit meint er: Es geht um Dein Gleichgewicht, um Deine Seelenbalance, um Deine innere Freiheit!
Alles, was war, ist genauso gewesen! Die absolute Anerkenntnis, dass nichts, aber auch gar nichts mehr an Deiner Vergangenheit zu ändern ist, gibt Deinem Leben, gibt Deiner Seele Raum. Du kannst wieder atmen … und loslassen!
Der Satz „Dieser Tag ist der erste Tag Deines restlichen Lebens“ hat für mich persönlich eine zusätzliche Bedeutung. Im Grunde basiert er auf einer alten Indianerweisheit und heißt im Original: „This day is the first day of the rest of your life.“
Ich war damals 19 Jahre alt, als ich diesen Spruch auf einem Poster fand. Im Hintergrund war ein altes Schwarz-Weiß-Foto zu sehen, wohl aus den 1920er Jahren, auf dem ein Indianerhäuptling sein Boot langsam flussabwärts treiben ließ.
Damals durchlebte ich meine zweite große Sinnkrise. Die erste überfiel mich schon mit Beginn der Pubertät. Es ging und ging nicht vorwärts. Ich hatte den falschen Beruf gewählt und steckte in einer tiefen Depression. Am liebsten hätte ich mein Leben nochmals von vorn begonnen. Na ja, das wünschen sich sicherlich gar nicht so wenige Menschen …
Just in diesem Moment meiner Selbstzweifel fiel mein Blick auf dieses Poster, das ich Monate zuvor an der Innentür des Bades befestigt hatte. Und auf einmal leuchtete mir dessen Sinngehalt bei jeder Morgentoilette immer tiefer ein: Dieser Tag ist der erste Tag Deines restlichen Lebens.
Ab jetzt nahm ich mir vor, jeden Tag als den Beginn eines neuen Lebens zu betrachten. Unglaublich, manche Gedanken hängen einem tagtäglich vor Augen, und doch sagen sie einem lange Zeit nicht mehr als eine Blümchentapete. Und dann auf einmal macht es „klick“.
Bis heute bin ich dankbar, dass mir das Schicksal mit 19 Jahren diese Depression geschenkt hat, denn durch sie habe ich gelernt, auf meine innere Stimme zu achten.
Wenn Du beginnst, Deine Lebenserfahrungen – mögen einige auch noch so bitter für Dich gewesen sein – als „vergangen“, als „gewesen“ zu betrachten, kannst Du Dich leichter mit Deinem Leben versöhnen.
Auch wenn Du gelernt hast, dass es sich nicht gehört, egoistisch zu sein – sei es jetzt. Dir zuliebe. Sei es Dir wert. Nichts kannst Du an dem verändern, was bis gestern war. Aber Du bist frei zu sagen: „Es bleibt mir der Rest meines Lebens. Und dieser Tag ist der erste davon.“
Genieße ihn!
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp