Ist der eigentlich noch da? Gibt es den noch? Oder ist Halloween schon wichtiger geworden? Ich wollte doch über die „Besinnung“ schreiben. Und über die Stille. Heute, am 31. Oktober, sehe ich überall diese gruseligen Masken, Totenköpfe, Sensenmänner. Aber auch diese von innen beleuchteten Riesenkürbisse, aus denen im Zickzackschnitt Augen, Nase und Mund herausgeschnitzt wurden.
Es ist, wie es ist. Halloween hat sich durchgesetzt. Mir ist Sankt Martin aber lieber. Die Idee und der Wert des Teilens. Die selbst gebastelten Fackeln mit den bunten, durchscheinenden Motiven. Die Gemeinschaft im Martinszug. Die Freude in den Augen der Kinder. – Gut, wenn es regnet, ist sie nicht ganz so groß. Aber stolz auf das, was es gebastelt hat, kann jedes Kind sein.
Ich bin als kleiner Knirps immer gerne mit der ganzen Schulklasse im bunten Zug gegangen. Die Eltern standen beseelt am Straßenrand. Die Dunkelheit erhellen, damit Hoffnung spenden, Lichtträger sein – das ist christliche Tradition im besten Sinne.
Ist es nicht berührend: Schon eine einzige Kerze genügt, um das Dunkel zu lichten. Der Ordensgründer Franz von Assisi (1181-1226) drückte es so aus: „Ein Sonnenstrahl reicht hin, um viel Dunkel zu erhellen.“
Ja, und jetzt sitze ich hier vor meinem Block, es ist Halloween und ich freue mich auf Sankt Martin. Und mir geht das Wort Besinnung nicht mehr aus dem Kopf. Es fließt in meinen Stift. In diesem Wort ist der Sinn, sind die Sinne enthalten. Wünschen wir uns nicht auch besinnliche Weihnachten?
Der Weg in die Besinnung ist gar nicht so weit. Die Sehnsucht nach Stille, nach innerem Frieden, ist uns mit auf unseren Lebensweg gegeben.
Kurt Tucholsky (1890-1935), der Schriftsteller, Journalist und Kritiker schrieb: „Man muss aus der Stille kommen, um etwas Gedeihliches zu schaffen. Nur in der Stille wächst dergleichen.“
Alles Große geht durch die Stille. Im Zeitalter der uns überflutenden sozialen Medien mit Facebook, Twitter und Instagram, im Zeitalter ständiger Erreichbarkeit sind wir besinnungslos von Lärm umgeben. Das lässt uns unruhig und hektisch werden.
Unsere Städte sind dauerhafte Lärmquellen geworden – und machen uns dadurch krank. Und vor lauter Neonleuchtmitteln bleibt uns das Wunder des Sternenhimmels verborgen. Auch unser Schmücken im Advent ist mehr geworden. Früher gab es einen Weihnachtsbaum mit Kerzen und Lametta, die eine oder andere Kugel zur Zierde. Das machte glücklich und reichte uns.
Irgendwann hingen die ersten Strohsterne im Fenster, später die ersten Lichterketten. Dann wurde im Vorgarten der erste Busch illuminiert, und die Event-Fans fingen an, aufblasbare Weihnachtsmannattrappen an die Hauswände zu nageln. Mit Glühbirnen wie auf einem Rummelplatz.
Kurze Zeit später entbrannte eine Art Wettbewerb mit einem kompletten Rentierschlitten auf dem Dach und einer Lichtinstallation, die in Intervallen „Happy Christmas“ aufleuchten ließ.
Ehrlich, bald haben wir es geschafft! Siehe die Originalwerbung 2018: „Festliche Lichtflut für zu Hause. Dein Nachbar wird verblüfft sein!“ – Ja, super. Vor allem wird er nicht schlafen können.
Was ist aus der Stille, der Konzentration auf das Wesentliche und Einzigartige geworden? Stille und Besinnung sind nichts Alltägliches mehr. Stille ist nicht mehr Wert an sich, sie ist zum Luxus geworden, den man sich gönnt, um sich etwas Gutes zu tun.
Gerade an Festtagen können wir aber unsere Routine durch achtsames Innehalten unterbrechen. Wir können unseren Atem spüren, ein paar tiefe Atemzüge nehmen und darauf achten, wie die Luft durch die Nase fließt, die Lunge füllt, den Körper wieder verlässt. Wir können ein paar Minuten in die Stille gehen – und wir können uns Zeit für Dankbarkeit nehmen. Uns bewusst werden, wofür wir in unserem Leben dankbar sind. Ohne Dankbarkeit gibt es keine Versöhnung mit uns selbst und mit den anderen. Und ohne Versöhnung gibt es keine Weisheit – und keine Weihnacht.
Ein erfülltes Leben setzt also Auszeiten und Ruhephasen voraus. Einen harmonischen Rhythmus zwischen außen und innen, zwischen laut und leise, forte und piano.
Einmal im Jahr feiern wir Weihnachten. Geben wir dann der Stille Raum. Und stellen wir uns die Frage nach der Richtung unseres Lebensweges. Ein Hinweis können uns die christlichen Mystiker geben, die die Frage stellten: Wie lang ist der Weg des Lebens? – Ihre Antwort darauf ist so einfach wie tiefgründig: „Der Weg des Lebens ist 30 cm lang. Er reicht vom Kopf ins Herz.“
Diesen Weg zu gehen, ist unsere Aufgabe. Am besten öffnen wir schon zu Halloween unser Herz, wagen mehr Liebe und lassen den Geist der Weihnacht in uns wirksam werden.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp