Oft genügt ein Wechsel der Blickrichtung

Beim Augenarzt. Ja, wieder mal Kontrolluntersuchung. Die Augen könnten sich ja verschlechtert haben. Ich bin Diabetiker. Da ist es doppelt wichtig. 

„Für Garderobe keine Haftung“. Die kleine Schrift kann ich noch gut lesen. Und dass man das Handy hier ausschalten soll. Aber das steht groß gedruckt im Fenster, damit es auch jeder sieht. 

Ich ändere meine Blickrichtung. Mein Blick fällt jetzt auf die leicht abgegriffenen Zeitschriften auf dem eckigen Beistelltisch. Den Kopf kann ich noch gut drehen. Gott sei Dank, ich kann in verschiedene Richtungen schauen. Und damit den Blickwinkel verändern. 

Da fällt mir ein, dass viele Menschen in ihrem Alltag nur eine Richtung kennen. Wenn ein Problem auftaucht, versuchen sie immer den gleichen Lösungsweg. Sie benutzen für ihr Denken dieselben Datenautobahnen, die früher für eine Lösung gut gewesen sind. Man nennt das auch „Gewohnheit“.

So stur sind Ratten nicht. Das haben wir früher im Studium untersucht. Im Fach „Tierpsychologie“. Wenn sie im Labyrinth an der einen Stelle kein Futter mehr fanden, schalteten sie schnell um und suchten andere Lösungswege. Sie veränderten ihre Blick- und Laufrichtung.

Flexibel und geschmeidig bleiben, die Dinge des Lebens von allen Seiten betrachten – das wäre doch ein Lösungsansatz. Denn um klarer zu sehen, genügt ein Wechsel der Blickrichtung, sagte Antoine de Saint-Exupéry, der Vater des „Kleinen Prinzen“.

Ich hätte dafür ein paar Vorschläge. Wir finden sie im „Rheinischen Grundgesetz“, das der Kabarettist Konrad Beikircher2001 veröffentlichte. Es wird auch genannt: 

„Der Kölsche Buddhismus“.

Statt „Das geht sowieso schief!“ denkst Du einfach: „Et hätt noch emmer joot jejange.“(Das funktioniert schon!)

Statt „Das hab ich mir ganz anders vorgestellt!“ denkst Du: „Et es, wie et es.“ (Sieh den Tatsachen ins Auge, Du kannst eh nichts ändern.)

Statt „Ich hab Angst vor der Zukunft!“ denkst Du: „Et kütt, wie et kütt.“ (Füge Dich in das Unabwendbare; es liegt ohnehin nicht in Deiner Macht.)

Wenn Du denkst: „Ich kann nicht loslassen!“, ändere Deine Blickrichtung in: „Et bliev nix wie et wor.“ (Sei offen für Neuerungen.)

Wenn Du jammerst: „Meine Frau (mein Mann) versteht mich nicht.“ So sage Dir: „Jede Jeck es anders.“ (Nimm Deine Mitmenschen, wie sie sind.)

Und denkst Du verzweifelt: „Ich könnte mir in den Hintern beißen! Hätte ich meine Aktien doch bloß nicht verkauft!“ So hilft Dir sicher: „Wat fott es, es fott.“ (Jammere den Verlusten nicht nach und trauere nicht um längst vergangene Dinge.) Die Blickrichtung, die Sichtweise ändern … Schon ist der Stau vorbei, die Blockade gelöst. 

Ein buddhistischer Mönch schrieb im vergangenen Jahrhundert: „Weisheit beginnt, wenn wir ein Problem aus mehr als einer Perspektive betrachten können.“ Da ist was dran. 

Der Augenarzt guckt mir in die Augen. Alles paletti. „Ihre Sehstärke ist gut. Die lassen wir so“, sagt er beim Abschied.

So seh ich das auch!

In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp