Der Erfahrene hat viele Narben

Diese Behauptung basiert auf einem kanadischen Sprichwort. Und es bedeutet natürlich nichts anderes als die Binsenweisheit, dass wichtige Lebenserfahrungen Spuren hinterlassen – im Körper, im Geist und in der Seele.

Narben zeigen die Verwerfungen des Lebens. Narben ersetzen das Unversehrte, Unerfahrene, manchmal auch das Aal-glatte unseres „Botox-Lebens“. 

Wenn wir aber verstanden haben, dass wir unser Leben weder verlängern noch verbreitern, sondern nur noch vertiefen können, wie der deutsche Schriftsteller Gorch Fock bemerkt hatte, wird die Oberfläche weniger bedeutsam. 

Diese Einstellung hat die leider viel zu früh verstorbene griechische Sängerin, Schauspielerin und spätere Kulturministerin ihres Landes, Melina Mercuri, auf eine bemerkenswerte Art bewiesen. Sie war gerade etwas über 40 Jahre alt, als sie ein Angebot erhielt, auf Kosten einer Kosmetikfirma ihre Falten entfernen zu lassen. Frau Mercuri erteilte dem Unternehmen mit folgenden Worten eine Absage: „Ich lasse mir doch nicht mein Leben aus dem Gesicht entfernen!“ 

Wäre unser Leben nicht viel unaufgeregter, wenn wir uns nicht um jedes graue Haar Sorgen machen würden? Und wir endlich auch mal stolz auf unsere Lebenserfahrungen sein könnten? 

Da halte ich es doch gerne mit Udo Lindenberg, der für sein Lied „Muss da durch“ die Zeilen schrieb: 

„Manche Wunden heilen, heilen wieder zu, 

doch die Narben bleiben, ich trag sie stolz wie ein Tattoo. 

Vom schwarzen Abgrund nur noch einen Schritt entfernt, 

und du springst, damit du fliegen lernst.“


Udo Lindenberg, Muss da durch, Album: Stärker als die Zeit

Vergleiche Dich nicht mit Anderen. Du lebst ein unvergleichbares Leben. Deine körperlichen und seelischen Narben gehören dazu. So wie alle Umwege, Sackgassen und Wendepunkte, die Dich und Dein Leben groß gemacht haben.

In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp