Christian (selbstständiger IT-Berater, 45 Jahre) kam zu mir ins Einzel-Coaching. Es klingt paradox, aber er hatte zu viel Erfolg. Seine neue Geschäftsidee, die er zwei Jahre zuvor umgesetzt hatte, schlug so gut ein, dass er in 24 Monaten bereits 15 Mitarbeiter einstellen musste. Das schmeichelte seinem Unternehmer-Ego, hatte ihn allerdings viel Kraft gekostet. Er fühlte sich zu diesem Zeitpunkt müde, schlapp und ausgebrannt. Nahe am Burn-out.
Als er vor mir saß, sagte er mir: „Ich verzettele mich. Ich kann die Prioritäten nicht festlegen. Das Management nach innen macht mir keinen Spaß, dieses Arbeits-Controlling. Ich sehe mich mehr als Außenminister. Pressearbeit, Vorträge halten und natürlich neue Kunden gewinnen – das alles macht Freude.
Andererseits kann ich aber auch schlecht loslassen. Ich habe Angst vor Kontrollverlust. Ich bin keine 30 mehr. Ich merke zunehmend mein Alter. Ich kriege das nicht auf die Reihe. Ich mache fünf Dinge gleichzeitig. Nein sagen geht auch ganz schlecht. Wofür mache ich das?“
Ich spiegelte ihm, dass Menschen, die fünf Sachen gleichzeitig machen, völlig in Auflösung sind und sich keiner Sache mehr konzentriert hingeben können. Hingabe setzt die Zentrierung auf eine Mitte voraus. Ich muss nicht Mutter Teresa sein, um mich hingebungsvoll einer Tätigkeit widmen zu können. Auch die Selbstfürsorge und Selbstliebe spielen eine große Rolle. Wenn ich nicht sorgsam mit mir selbst umgehe, wie kann ich dann meine Liebe, mein Herzblut, meine schöpferische Kraft in mein Handeln fließen lassen?
Heute, drei Jahre nach diesem Coaching-Prozess, hat Christian in seiner Firma eine zweite Führungsebene eingebaut, gönnt sich mehr Freizeit, wirkt wesentlich vitaler und auch jünger.
„Ich habe gelernt“, sagt er, „dass Erfolg im Beruf oft nur eine einseitige Befriedigung gibt. Ich bin immer noch erfolgreich, aber in einem überschaubaren Rahmen.
Meine Frau war richtig glücklich, als ich mich entschieden hatte, nicht zu expandieren. Mittlerweile arbeitet sie in meinem kleinen Unternehmen mit, wir sind uns nahe und haben noch viele Pläne für die Zukunft. Aber mit Augenmaß.
Lieber etwas weglassen, als uns zu viel vorzunehmen.
Ich bin zwar immer noch ein Kopfmensch, das kann ich nicht leugnen. Aber ich treffe keine Entscheidungen mehr, ohne auch mein Herz zu befragen. Danke für die Wegbegleitung.“
Wer könnte den Inhalt eines Coachings zutreffender beschreiben als Johann Wolfgang von Goethe in seinem Briefwechsel mit Bettina von Arnim:
„Finde Dich, sei Dir selber treu, lerne Dich verstehen, folge Deiner Stimme, nur so kannst Du das Höchste erreichen.“
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp