aerial photography of water beside forest during golden hour

Warum soll ich mich ändern?

Über den Fluss des Lebens

Wir müssen die Aussage von Mikael Gorbatschow, dem früheren russischen Präsidenten, ja nicht rauf- und runtersingen … Aber: Da ist was dran. 1989 soll er die Sätze geprägt haben: „Das Leben verlangt mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ 

Wir können uns wegducken. Nicht schlimm. Wir können Herausforderungen vermeiden. Okay. Aber wir können nicht ewig weglaufen.

Und da lese ich in einem philosophischen Text: „Veränderungsbereitschaft ist der Schlüssel zum persönlichen Wachstum und zur Entfaltung des Lebens. Sie erfordert Mut …“ (aus: Weisheitsletter, Ausgabe 5/2025, Publik-Forum-Verlagsgesellschaft mbH, Oberursel)

Vor einiger Zeit kam ein 39jähriger Arbeiter zu mir in die Therapie. Auf seiner Arbeitsstelle fühlte er sich permanent abgewertet, nicht ernstgenommen. Er wirkte leicht verzweifelt: Wenn er für seine Kollegen Bier heranschleppen solle, könne er nicht „nein“ sagen. Auch zu Hause stünde er im Schatten seiner Frau – und überhaupt, alle Menschen machten mit ihm, was sie wollten.

Wichtig für ihn war offensichtlich, an seinem mangelnden Mut zu arbeiten. Er nahm sich vor, den Satz „Ich habe Mut!“ per „Huckepack-Verfahren“ zu lernen. Das bedeutet: Wenn Du einen Gedanken, eine Einstellung, die noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, im Unterbewusstsein verankern willst, dann knüpfe sie an eine Tätigkeit, die Du Tag für Tag ohne nachzudenken praktizierst.

Dieser Patient trug zusätzlich zu seinem Job jeden Morgen Zeitungen aus. Vor jedem Einwurf in den Briefkasten oder das Zeitungsfach sagte er jetzt zu sich selbst „Ich habe Mut!“ Zweihundert Mal am Tag. So viele Male, wie er Zeitungen austrug. 

Vier Tage später stand er in der Tür und sagte: „Dieser Satz sitzt. Den nächsten bitte.“ 

So verankerte er in einem Monat vier Sätze. Und war wie ausgewechselt: Den Kollegen sagte er die Meinung, seiner Frau gab er selbstsicher, aber liebevoll Widerworte – und ein halbes Jahr später fuhr er für mehrere Monate auf Montage nach Südafrika. Ein Wunsch, den er sich bis dahin nie erfüllen mochte. Er hatte gelernt: Mut wächst mit dem Beginnen.

Ziemlich oft in unserem Leben stehen wir an Weggabelungen. Beim Waldspaziergang orientieren wir uns, wenn der Weg sich gabelt, vielleicht daran, welcher von beiden häufiger begangen wurde. Denn er führt mit ziemlicher Sicherheit an ein Ziel.

Manche stehen dann aber auch festgewurzelt wie der sprichwörtliche „Ochs vor dem Berg“. Auch aus Angst, sich an dieser Stelle falsch zu entscheiden. Nicht anzukommen. Oder Umwege in Kauf nehmen zu müssen. Vielleicht auch aus Angst, nicht mehr zurückzufinden.

Und dennoch: Jede Wahl, jede Veränderung, bietet uns die Chance, neue Wege zu entdecken.

Was aber, wenn wir uns nicht ändern wollen? Wenn wir uns gegen Änderungen wehren, kostet uns das sehr viel Kraft und Energie. Die Verweigerung, Entscheidungen zu treffen, macht unser Leben nicht leichter. Denn: Gegen Wellen zu kämpfen, sich vor ihnen aufzubäumen, ist eine von mehreren Wahlmöglichkeiten. Eine andere ist, auf den Wellen zu surfen, und zu schauen, wohin sie uns tragen.

Unser Leben ist ein stetiger Wandel. Schon der antike Denker Heraklit von Ephesus sprach vor ca. 2500 Jahren: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“ Der Fluss ist beim zweiten Mal ein anderer, hat sich gewandelt und verändert. Das Wasser, das uns umströmt, ist frisch und neu. Wenn wir akzeptieren, dass alles fließt und sich alles ändert, gewinnen wir persönliches Wachstum – und haben die Chance auf eine größere Ruhe und Gelassenheit. 

In herzlicher Verbundenheit

Ihr Georg Rupp