In alten Sagen, im Heldenepos, ist derjenige der Mutige, der in sich seine Zweifel besiegt und handelt. (In der männlichen Schreibform sind in meinem Verständnis natürlich auch alle Heldinnen gemeint, die ihre Zweifel besiegen und handeln.) Der Held wagt sich in Situationen hinein, in denen es keine Sicherheiten gibt, die möglicherweise auch noch niemand vor ihm ausprobiert hat. So war es in den griechischen Sagen mit Odysseus, so war es in der Schifffahrt mit Kolumbus. So war es auch mit Muhammad Ali bei einem seiner letzten Kämpfe, von dem ihm jeder abgeraten hatte, weil er angeblich zu alt für einen Siegertypen war. Er musste gewaltig einstecken – aber mit dem letzten Schlag schickte er seinen jüngeren Gegner entscheidend zu Boden. Das nennt man „Kämpferherz“.
Der Held ist der vom Bösewicht, das heißt, seinem Gegenspieler der Schattenwelt, in die Enge getrieben. Man ahnt: Jetzt – oder nie. So in der Enge, so mit dem Rücken zur Wand … da muss der Held handeln. Jetzt muss er etwas machen, von dem man meist nicht weiß, ob es für ihn gut ausgeht. Es ist der „Showdown“ im Erfolgskino.
Oft geht es noch nicht einmal darum, in dieser Situation das Richtige zu tun, sondern darum, überhaupt etwas zu tun. Aber nur an einem gleichwertigen Gegner kann sich der Held beweisen. Oftmals ist der größte Gegner … das eigene Ich. Der größte Sieg ist deshalb der Sieg über die eigene Person, die eigenen Zweifel, die eigene Bequemlichkeit, die eigene Komfortzone.
Wer nichts tut, macht keine Fehler. Klar. Aber ist das wirklich so? Gehören nicht die kleinen Verrücktheiten zum Leben? Geht es nicht darum, das Leben immer wieder neu zu erobern, sich Herausforderungen zu stellen? – Keiner von uns muss als Held in die Geschichte eingehen. Aber die Maßstäbe zu verrücken und aus dem Bauch heraus zu handeln – das zeichnet den Mut als Vorboten der Lebensfreude aus.
Vielleicht hilft Dir dabei folgendes Bild: Stell Dir das Leben vor wie einen Weg mit Leitplanken. Wer aus Angst, vom Weg abzukommen, immer in der Mitte bleibt, der kann sich selbst nicht erfahren. Wer mit Scheuklappen durchs Leben geht, bleibt eng und starr und furchtsam. Er bleibt im wahrsten Sinne des Wortes „mittel-mäßig“. Die Mitte muss sich der Mensch erarbeiten. Dabei sollte er schon mal vom Weg abkommen, um nicht auf der Strecke zu bleiben.
Wer keine Angst vor den Grenzen, vor den Leitplanken, vor den bisherigen Rändern seines Lebens hat … wer schon mal (legal!) über Grenzen geht … wer Neuland betritt … der lebt intensiver. Nur wer Ungewohntes wagt, entwickelt sich.
Wer neugierig auf die Polaritäten seines Lebens ist, sie erfährt und integriert, der kann in und aus seiner Mitte leben. Der genießt und akzeptiert jeden Zentimeter seines Lebensweges. Zur einen und zur anderen Seite, im Rückspiegel und nach vorn. Der ist offen für Wandlungen. Auf dem Wege eines gelungenen und reichen Lebens.
Zum Thema Mut schreibt der 80jährige US-amerikanische Lehrer des Buddhismus Joseph Goldstein: „Du kannst die Welle nicht anhalten, aber Du kannst lernen, auf ihr zu surfen.“
Wir sind nie zu alt, um für uns selbst zum Helden, zur Heldin, zu werden. Was dabei zählt, ist nicht die Größe der Aufgabe, sondern die Größe unseres Mutes.
In herzlicher Verbundenheit
Ihr Georg Rupp