Zunächst zu mir und meiner beruflichen Laufbahn: Lokführer wollte ich werden. Mit vier Jahren. Wie so viele Jungen auch. Dann wünschte ich mir mit sechs Jahren einen Kaufladen. Nach einigen Verkäufen von Spielzeugprodukten an meine Cousine wollte ich Kaufmann werden. Dann, mit sieben, entdeckte ich die Welt der kindlichen Zaubertricks. Ich führte meine erste Veranstaltung mit einigem Applaus im Familienkreis durch. Danach wollte ich Zauberer werden.
Mit zehn Jahren wusste ich, was ich nicht werden wollte. Katholischer Priester. Unsere sehr fromme Klassenlehrerin auf der Volksschule betonte nämlich des Öfteren, dass wenigstens einer der Jungs aus der vierten Klasse von Gott berufen werden sollte, um ein überzeugter katholischer Pfarrer zu werden. Dafür würde sie beten. – Um dem die Macht zu nehmen, hielt ich als Zehnjähriger mit einem Stoßgebet dagegen: „Lieber Gott, bitte erhöre, dass ich kein Priester werden will. Ich möchte ja mal heiraten. Das ist mir wichtiger!“ – Mein Gebet wurde erhört.
Als ich in die Pubertät kam, wollte ich Rockmusiker werden. Das war 1962, als die Beatles begannen. Und ich zürnte meinen Eltern, dass sie mir keine Elektro-Gitarre kaufen wollten. Eine, wie George Harrison sie spielte. Ich solle lieber lernen als weiter so bescheuerte Ideen zu verfolgen, meinten sie. Ich sei ja schlecht genug in der Schule. Und sie würden sich große Sorgen machen, denen ich durch gute Noten abhelfen könnte.
Dann wusste ich auch nicht mehr weiter. Kein Rockmusiker … und der ganze Schulkram langweilte mich fürchterlich. ‚Aus diesen Fächern kannst du doch keinen Beruf machen‘, fuhr es mir wieder und wieder durch den Kopf. Besonders, als Tante Gertrud mich in Abständen fragte, was ich denn mal werden wolle.
Immerhin wusste ich genau, was ich nicht werden wollte. Damit war ich dann erst einmal zufrieden. Denn etwas nicht zu machen, engt ja auch die Anzahl der Tätigkeiten ein, die in Frage kommen.
Kurz und gut: Mein Abitur war absolut durchschnittlich und eignete sich nur für Fächer, die damals noch ohne „Numerus Clausus“ waren. 1969 war das tatsächlich – zumindest an einigen Unis – noch Psychologie! Ja, so ging es dann los mit dem, was ich wirklich wollte …
55 Jahre später titelte die Zeitschrift „Psychologie heute“: „Ich bin mehr als die Krisen, die hinter mir liegen.“(Ausgabe März 2024).
In der Tat: Ich bin weder Lokführer noch Kaufmann, weder Zauberer noch Rockstar geworden. Und – Gott sei Dank – auch nicht das, was ich nicht werden wollte.
Viele Krisen meiner Kindheit und Jugendzeit führten mich zu meiner Bestimmung. Denn über Umwege und Sackgassen landete ich im Studium der Klinischen Psychologie. Und „Gutes für die Seele“ der Menschen tun zu dürfen, scheint mir – je älter ich werde – ein Geschenk des Lebens zu sein.
Jetzt zu Dir: Gibt es auch eine „Perlenkette“ Deiner beruflichen und privaten Wünsche in Deinem Leben?
Hattest Du auch Träume, die sich kurz gehalten haben – und dann wieder den Bach runtergingen?
Hast Du auf Deiner Lebenswanderschaft auch die Überzeugung kennengelernt: „Das ist es!“? – Und das Leben hat sie wieder verworfen?
Schreib sie auf! Halte sie fest! Markiere sie Dir!
Denn auch das bist unverwechselbar „Du“! Einmalig und einzigartig „Du“! Nur Du kannst Dein Leben in Deiner eigenen Regie führen. So warst Du schon bei Deiner Geburt ein absolutes Original und keine Kopie.
Also: Hake Deine Vergangenheit nicht einfach ab. Sie gehört unnachahmlich zu Deinem Leben. Mit allen Sonnen- und allen Schattenseiten. Und solltest Du mit irgendwelchen Aspekten Deiner Vergangenheit hadern, dann mache Dir klar: Alles, was war, ist genau so gewesen! (Zitat von Dr. Wolf Büntig)
Nichts lässt sich korrigieren, nichts wiederholen. Kein Tag, keine Stunde, keine Minute. Die „Perlenkette“ Deiner hellen und Deiner dunklen Tage trägst Du jederzeit in Dir. Also: Nimm sie an. Wie Deine verfehlten beruflichen und privaten Träume. Aber auch wie Deine erfüllten Lebensabschnitte. Wie Deine tiefen Demütigungen und Deine Aufstiege aus der Asche. Schließe Deinen Frieden damit.
Du bist unverwechselbar „Du“. Keine Kopie zu sein … ist das nicht wunderbar?!
Und nimm es bitte mit Freude an, wenn ich hier über Dich schreibe: „Es ist schön, dass es Dich gibt!“
Denn das ist kein dahingeworfenes Kompliment, sondern eine heilsame und heitere Form von persönlicher „Charme-Intelligenz“. Mach sie Dir gerne zu eigen.
Wird fortgesetzt
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp