Mut braucht Zweifel 

Erinnerst Du Dich an den Film „Der Club der toten Dichter“, in dem eine Szene am Ende viele Zuschauer berührte? Der engagierte und beliebte Englischlehrer, gespielt von Robin Williams, wird von der Schulleitung entlassen – Sieger und Verlierer zugleich durch die Umstände der Geschichte. Da steht der ehemals Schüchternste aller Schüler auf und klettert, inmitten seiner Kameraden, auf seinen Schreibtisch … viele andere tun es ihm nach. Diese Geste bedeutete so viel wie: Ich lasse mich nicht länger unterdrücken, auch wenn ich gerade Kopf und Kragen riskiere! Ich stehe für meine inneren Überzeugungen ein!

Es war der Mut zu diesem Schritt, der den ängstlichsten Schüler im Film zum Helden machte. 

Wie häufig hast Du gezweifelt, ob das, was Du tust, akzeptiert wird? Ob sich Dein Handeln wirklich lohnt? Mut setzt den Zweifel voraus. Wer nicht zweifelt, kann übermütig werden. Mut kennt auch die Frage nach dem: „Soll ich wirklich? Was gebe ich auf? Was lasse ich los? Was riskiere ich?“ 

Gerade, wenn Du Dein Leben für eine Niederlage hältst, wächst der Mut zur Veränderung. Zweifel und Verzagtheit sind der Kiel, der Dein Schiff dem Mut entgegen treibt. Sie setzen den Wandel frei!

Vor einiger Zeit kam ein 39-jähriger Arbeiter zu mir in die Therapie. Auf seiner Arbeitsstelle fühlte er sich permanent abgewertet, nicht ernstgenommen: Wenn er für seine Kollegen Bier heranschleppen solle, könne er nicht „Nein“ sagen. Auch Zuhause stünde er unter der Fuchtel seiner Frau – und überhaupt, alle Menschen machten mit ihm, was sie wollten.

Ich bestätigte ihm, dass er ein armer Kerl sei. Das wollte er wohl auch hören. Die Wende kam bald. Denn wichtig war für ihn, an seinem mangelnden Mut zu arbeiten. Er nahm sich vor, den Satz „Ich habe Mut!“ per „Huckepack-Verfahren“ zu lernen.

Das bedeutet: Wenn Du einen Gedanken, eine Einstellung, die noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, im Unterbewusstsein verankern willst, dann knüpfe sie an eine Tätigkeit, die Du Tag für Tag ohne nachzudenken praktizierst.

Dieser Patient trug zusätzlich zu seinem Job jeden Morgen Zeitungen aus. Vor jedem Einwurf sagte er jetzt zu sich selbst: „Ich habe Mut!“ Dreihundert Mal am Tag. 

Vier Tage später stand er ohne Termin in meiner Praxistüre: „Dieser Satz sitzt. Den nächsten bitte …“ So verankerte er in einem Monat vier Sätze. Und war wie ausgewechselt: Den Kollegen sagte er die Meinung, seiner Frau gab er selbstsicher, aber liebevoll Widerworte – und ein halbes Jahr später fuhr er für mehrere Monate auf Montage nach Südafrika. Ein Wunsch, den er sich bis dahin nie erfüllen mochte. Mut wächst mit dem Beginnen. 

Die buddhistische Nonne und Schriftstellerin Pema Chödrön drückt es so aus: „Wir sind gewohnt zu denken, dass die Menschen, die mutig sind, sich vor nichts fürchten. Aber in Wirklichkeit sind sie mit der Furcht sehr vertraut.“

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp