Nein, ich kann mich mit ihnen nicht vergleichen. Natürlich nicht. Positiv gesehen: Jeder Mensch ist ein Unikat. Wir brauchen keinen Vergleich. Denn wenn wir in die Fußstapfen eines anderen Menschen treten, kommen wir ja nie auf unsere eigene Spur.
Aber Hermann Hesse (1877-1962), an den ich jetzt gerade denke, war am Beginn des Studiums mein Lieblingsschriftsteller. Das war 1969.
„Siddhartha“, „Narziss und Goldmund“, „Der Steppenwolf“ und „Das Glasperlenspiel“ habe ich gelesen. Nein, eher verschlungen.
Hesse war Schriftsteller, Dichter und Maler. Was wir gemeinsam haben? Seine und meine Bücher laden zu Spaziergängen und kleinen Wanderungen ein. Seine tausendfach mehr. Aber meine Geschichten „Gesichter der Seele“, die von Hoffen und Scheitern, von Liebe und Glück erzählen, finden auch seelenverwandte Menschen.
Meine drei Bände sind jetzt genau ein Jahr alt. Haben ihre Seiten, je nach Lust und Laune der Leserin, des Lesers, auf- und umgeschlagen.
Lesen bereichert. Macht weltoffen und lebensklug. Und berührt so manches Mal auch unsere Sehnsucht. Herzenswarm und seelentief. Wie die Texte des Lyrikers Rainer Maria Rilke (1875-1926), die mich ebenso faszinieren wie die oben zitierten Bücher von Hermann Hesse.
Lesen ist ein Geschenk. Allen Menschen, die oft und gerne lesen, schenke ich an dieser Stelle einen Text von Rilke aus seinem Werk „Das Buch der Bilder“:
„Ich las schon lang. Seit dieser Nachmittag,
mit Regen rauschend, an den Fenstern lag.
Vom Winde draußen hörte ich nichts mehr:
mein Buch war schwer.
Ich sah ihm in die Blätter wie in Mienen,
die dunkel werden von Nachdenklichkeit,
und um mein Lesen staute sich die Zeit. –
Auf einmal sind die Seiten überschienen,
und statt der bangen Wortverworrenheit
steht: Abend, Abend … überall auf ihnen.
Ich schau noch nicht hinaus, und doch zerreißen
die langen Zeilen, und die Worte rollen
von ihren Fäden fort, wohin sie wollen …
Da weiß ich es: über den übervollen
glänzenden Gärten sind die Himmel weit;
die Sonne hat noch einmal kommen sollen. –
Und jetzt wird Sommernacht, soweit man sieht:
zu wenig Gruppen stellt sich das Verstreute,
dunkel, auf langen Wegen, gehn die Leute,
und seltsam weit, als ob es mehr bedeute,
hört man das Wenige, das noch geschieht.
Und wenn ich jetzt vom Buch die Augen hebe,
wird nichts befremdlich sein und alles groß.
Doch draußen ist, was ich hier drinnen lebe,
und hier und dort ist alles grenzenlos;
nur dass ich mich noch mehr damit verwebe,
wenn meine Blicke an die Dinge passen
und an die ernste Einfachheit der Massen, –
da wächst die Erde über sich hinaus.
Den ganzen Himmel scheint sie zu umfassen:
der erste Stern ist wie das letzte Haus.“
Lesen stillt die Sehnsucht in uns. Wenigstens für diesen Augenblick. Ja, Sehnsucht ist wie eine Reise mit dem Blick nach vorn. Sich sehnen macht Freude. Denn Sehnsucht muss nicht aus einem Mangel entstehen. Sie kann Teil Deiner Vision eines spannenden und erfolgreichen Lebens sein. Deines drängenden Wunsches, nicht in Routine zu erstarren, kein genormtes Leben zu führen. Anders zu sein. Reicher an Gefühlen und Lebenserfahrungen. Nicht am Fließband des Lebens stehen zu bleiben, sondern nach den verborgenen Schätzen zu suchen – und sie zu entdecken.
Auch wenn wir hoffen, scheitern, lieben und glücklich sind, spüren wir diese Sehnsucht nach Leben. Möge Dein Leben nicht oberflächlich sein, sondern Tiefgang haben. Tiefgang aber bedeutet: Erfahrung haben mit der Vielfalt des Lebens.
Die neuen Bücher 2022: Dr. Georg Rupp, „Gesichter der Seele – Geschichten, die ein Therapeut erzählt“, Bände 1 bis 3
Verlag: tredition GmbH, Hamburg. Weitere Informationen: www.dr-rupp.com
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp