Am Anfang möchte ich eine Geschichte erzählen. Sie entwickelte sich eher still und beiläufig in einer größeren Stadt in Nordrhein-Westfalen, kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.
Sie heißt „Der Platzhirsch“ und soll auf etwas hinweisen, das mir heute wichtiger als je zuvor erscheint.
An der Wand hängt das Gemälde. Ein Hirsch, ganz erhaben, im Großformat. Ein majestätischer Vierzehnender, wenn ich mich nicht verzählt habe. ‚Der strahlt was aus‘, denke ich bei mir. Eine Präsenz ohne jede Anstrengung. Charisma eben.
‚Sie hätten die Wand natürlich auch mit einem Foto vom Geißbock Hennes dekorieren können, dem Maskottchen des hiesigen Fußballvereins‘, fantasiere ich. Aber auch so bleibt die Wand kitschig-schön gestaltet.
„Herzlich willkommen im Kaffee & Kuchen“ steht gegenüber mit Kreide geschrieben. Das erschließt sich mir nicht ganz. Aber ich bin ja auch nicht von hier. Also nicht aus der Stadt, in der ich gerade einen Cappuccino bestellt habe.
Dieses Café ist nicht spektakulär. Vierzehn kleine Tischchen für jeweils zwei Personen. Und oben auf der Empore eine Eckbank. Und ein paar Stühle mehr.
Warum bin ich hier? Weil ich mir gerade nebenan ein paar Klamotten gekauft habe. Soviel Auswahl gibt‘s bei uns zu Hause nicht. Und jetzt entspanne ich und rede mir ein, dass ich mir diesen Cappuccino verdient habe. Nach all den strapaziösen Anproben…
Direkt neben mir tauschen sich zwei Studenten über ihr Kolloquium aus. Mir tut es gut, an dieser studentischen Freiheit zu schnuppern.
„Leben ist Aufmerksamkeit“, sagte Hugo Kükelhaus vor langer Zeit.
Aufmerksam ist auch der Student, der hier seine Gäste bedient. Und er lächelt, einfach so. Das fühlt sich sehr sympathisch an.
„Bis morgen“, verabschiedet sich eine ältere Dame. „Ja, bis morgen. Einen schönen Abend!“, antwortet der junge Mann lächelnd. Nur ein kleines Detail in seinem Arbeitsalltag.
Heute ist Freitag. Wahrscheinlich ist vorlesungsfrei. Ich beobachte, wie seine Fröhlichkeit das urige Café erhellt. Es ist so klar wie Kloßbrühe: „Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln.“
Ich sage dem Studenten, dass ich die Art, wie er lächelt, sympathisch finde. Da steigen seine Mundwinkel noch ein Stückchen weiter nach oben. Wie leicht es doch ist, Beziehung zu leben, kommt mir in den Sinn. So unverkrampft und einfach in diesem Moment.
Mag der Hirsch an der Wand auch noch so stolz in die Ferne blicken – junge Menschen, die lächeln, erwärmen mein Herz.
Was sagte Claudia doch vor einigen Jahren, als sie danach gefragt wurde, welchen Sinn sie ihrem Leben gibt: „Den Menschen ein Lächeln schenken!“ Und dabei strahlte sie aus ganzem Herzen. (Ende der Geschichte.)
Ein Lächeln schenken. Wer weiß … vielleicht braucht es ja gar nicht viel mehr in diesem Advent. Auch wenn wir heute noch mit und hinter der Maske leben. So sind die Augen das „neue Gesicht“. Wir können neu sehen lernen. Und mit den Augen lächeln.
Andererseits: Niemand konnte dies voraussehen. Keiner hatte zu Beginn der Pandemie eine vierte Welle vor Augen. Haben wir nicht alle erwartet, dass Corona schneller zu Ende geht? Dass dies nicht der Fall ist, kränkt uns Menschen in unserem Allmachtsanspruch. Sollten wir uns nicht – wie es in der Bibel steht – die Erde untertan machen und sie kontrollieren können? Und jetzt erfahren wir – wieder einmal –, dass wir weitgehend hilflos und ausgeliefert sind. Wie sollen wir uns auch schützen können in einer Welt, die scheinbar verrückt spielt?
Glücklich ist der, der sich sein Lächeln bewahrt hat. Wir können (und sollten) auch am Ende diesen Jahres vorsichtig sein, aber wir können nicht alles verhindern. Wir werden auch nicht über alles hinweglächeln können.
Vielleicht ist es auch eine Hoffnung, daran zu denken, dass wir uns dieses Leben nicht „verdienen“ mussten. Dieses Leben ist kein Verdienst. Es ist ein Geschenk! Für jeden von uns.
Nehmen wir doch einfach dieses Leben als Geschenk. Auch wenn es uns dann und wann vor schwierige Zeiten und immer neue Herausforderungen stellt. Es wurde uns geschenkt – von Anbeginn an. Wären wir nicht geboren, hätten wir dieses Geschenk nie erhalten. Freuen wir uns über dieses Füllhorn. Trotz Corona, trotz Maske.
Ist das alles nicht unser Lächeln wert?
Schenken wir uns an Weihnachten ein Lächeln. Immer wieder. Denn lächeln bedeutet: Wir lassen uns aufeinander ein. Und auf den Sinn des Weihnachtsfestes, der Geburt Christi. Teilen wir die Liebe und das Mitgefühl mit unseren Nächsten. Teilen und feiern wir, gerade in diesen Tagen, die Gemeinschaft mit unseren Lieben, unserer Familie.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern Frieden und Geborgenheit inmitten der Weihnachtsfreude. Euch allen von ganzem Herzen frohe und friedliche Weihnachten.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp