Über die glühenden Kohlen
Es gibt Menschen, die freiwillig und ohne Not mit nackten Füßen über glühende Kohlen laufen. Die Motive sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sich das antun.
Das ist wirklich kein Trick: Die heruntergebrannte und flachgeharkte Holzkohle ist über 800 Grad heiß. Selbst wenn die Glut ergraut, sind es noch 600 Grad. Es gibt bislang keine einleuchtende wissenschaftliche Begründung, wieso die empfindsame Haut des Menschen diese außergewöhnlichen Strapazen unbeschadet überstehen kann. Es gehört schon sehr viel Mut dazu, den ersten Schritt ins Glutbett zu setzen.
Während einer dieser Aktionen erlebte ich eine junge Frau, die drei Minuten barfuß auf dem Feuer tanzte. Beseelt, ohne Angst, anmutig, voller Hingabe und mit innerer Freude. Sie feierte ein Stück sich selbst und das Leben.
Besonders anrührend war es, beim Feuerlauf ein behindertes Paar zu sehen, das gemeinsam Hand in Hand über die Glut lief. Er fast erblindet, sie mit spastischer Körperbehinderung. Diese beiden drückten ihre innige Verbundenheit durch den gemeinsamen Lauf über die heißen Kohlen aus. Sie gingen für ihre Liebe durchs Feuer.
Ich erlebte Menschen, die für ihre Familie, für ihren Lebenserfolg und für ihr Selbstvertrauen über die heiße Glut liefen … und da wurde mir klar: Es ist nicht nur der Mut, der Dich zum Sieger über die Hitze werden lässt. Es ist das Vertrauen in Dich und das Feuer, in das Zusammenspiel beider Energien.
Möglicherweise ist es auch so: Wenn Du beseelt bist von einer Idee, wenn Du für eine Sache „brennst“, wenn das innere Feuer so stark ist wie das äußere – dann kann Dir die Glut nichts anhaben!
Indianer zeigen eine besondere Dankbarkeit dem Feuer gegenüber. Regelmäßig halten sie Zwiesprache mit „Großvater Feuer“. Dem ersten Schamanen, der mit dem Urknall in die Welt gesandt wurde.
Hast Du das Feuer auf diese Weise schätzen gelernt, kannst Du Dich ganz mit ihm verbunden fühlen. Wenn Dein Vertrauen einfach da ist, dann spürst Du tief in Dir: Es wird ein wunderschöner Lauf. Du spürst keine Zweifel. Du spürst keine Temperatur.
Noch nie bist Du so sanft, fast schwebend, mit spielerischer Leichtigkeit ins Ziel gelaufen.
Schon Goethe sagte zu seiner Zeit: „Wirf dein Herz über das Hindernis – und spring ihm nach.“
Nachbetrachtung:
Diese Sanftheit erlebte ich beim vierten Feuerlauf meines Lebens. Dreimal war ich schon über glühende Kohlen gegangen. Vor mir wurde jedes Mal (Zufall?) die Glut frisch aufgeschüttet, die Hitze also erhöht. Und ein zwanzig Meter langes Glutbett ist ja auch kein Pappenstiel.
Ich zweifelte nie. Nur beim zweiten Lauf, als Claudia erstmals mitlief, war ich mit meiner Konzentration mehr bei ihr. Das ist der Gesundheit nicht dienlich. Mein linker Fuß rutschte beim schnellen Gehen kurz weg, was für die schönste Brandblase meines Lebens reichte.
Aber jetzt, beim vierten Lauf, kam es ganz anders. Schon als einige Stunden vor dem Schreiten durch das Feuer die großen aufgeschichteten Holzstapel angezündet wurden, nahm ich emotionalen Kontakt zum Feuer auf. Klingt irgendwie abgedreht, ist aber auf einer energetischen Ebene möglich. Ich sprach innerlich so was wie: ‘Hey, Feuer, machen wir einen Deal, ein gemeinsames Spiel? Du tust mir nicht weh und bietest mir Halt. Dafür ehre ich dich und danke dir und deiner Kraft. Lass mich auf dir wie auf Watte gehen. Denn ich habe ein Anliegen: Ich widme meinen Lauf der Liebe zwischen den Menschen. Einverstanden?‘
Klar, hört sich völlig schräg an. Hat mich aber in einen Kraft- und Trancezustand versetzt, dass ich wirklich zu schweben schien. Keine Zehntelsekunde fiel ich aus diesem Vertrauen heraus. Es war wie ein Tanz mit den Elementen. Ein wunderschöner Lauf. Danke, Großvater Feuer.
Denkst Du darüber nach, selbst einen Feuerlauf zu wagen?
Prima. Aber dann ist mir der Hinweis wichtig, dass ich mich immer von sehr erfahrenen, kompetenten Trainern begleiten ließ. Das Vertrauen in ihre Fähigkeiten ist genauso elementar wie das Vertrauen in sich selbst und in das Feuer.
Claudia und ich kämen nie auf die Idee, uns einem selbsternannten Wald- und Wiesentrainer anzuvertrauen. Bitte achte auch hier auf Qualität und Kompetenz.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp