Der Garten meiner Eltern

Das Turteln der Schmetterlinge

Nach dem Krieg wohnten meine Eltern in der Stadtmitte. Dort gab es einen Hof, aber kein Grün. Also pachteten sie für etliche Jahre einen Schrebergarten. Der lag am Stadtrand und hatte alten Baumbestand. Gemüse pflanzten sie dort aber nicht an. Vater hatte damals eine Drogerie übernommen. Er arbeitete viel und wollte sich am Wochenende im Garten erholen.

Regenwürmer kamen hoch. Ich fand sie eklig, schaute aber immer wie gebannt hin, wenn sich einer in Serpentinenbewegungen über die Erde schlängelte. Am meisten faszinierten mich die vielen bunten Schmetterlinge, die so ganz unberechenbar von Blüte zu Blüte flogen. Die flatterten völlig sorglos und freiheitsliebend umher … war jedenfalls mein Eindruck.

Ein zweiter Gedanke fällt mir ein. Ich war damals vielleicht zwölf Jahre und nicht besonders kräftig. Deshalb wurde ich im Sportunterricht auch immer als einer der letzten Klassenkameraden in die Mannschaften gewählt. Ich fand diese Wahlen extrem unpädagogisch. Außerdem war das irgendwie mit einem Scheißgefühl verbunden. So was Ähnliches wie Blamage. Vorletzter war ich oft, und hinter mir nur der dicke Herbert.

So legte ich im Schrebergarten, mit Erlaubnis meiner Eltern, eine etwa sieben Meter lange Sandbahn an, um mich im Kugelstoßen zu üben. Schön! Sie überließen mir diesen Streifen Land. In der Mitte der Bahn hatte ich den Sand doppelt so hoch gestreut, um hier auch Hochsprung zu trainieren. Und meistens ging an dieser Stelle auch die Kugel nieder.

All das war nicht sehr erfolgreich. Die Kugel hatte wohl Flugangst. Und beim Hochsprung wollte ein Fuß nicht wirklich vom Boden weg. Also pflanzte mein Vater in diese Ecke des Gartens doch lieber ein paar Rosenstöcke. Wo die Eisenkugel und der Besenstiel für den Hochsprung geblieben sind, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen.

Heute sitze ich im eigenen Garten. Es surrt und brummt in den Blüten und um sie herum. Am Ufer des Teichs herrscht reger Betrieb. Und unter den aufgehäuften Steinen fühlen sich die Krabbeltiere wohl. Alle Tiervölker, die Feuchtigkeit und Dunkelheit lieben. Auch der Maulwurf hat uns wieder besucht und seine Spuren hinterlassen. Ganz schön sportlich, wie der gräbt.

Im Sport hat sich das Tischtennis zu meiner Leidenschaft entwickelt. Doch statt Hochsprung lebe ich lieber mit beiden Beinen auf der Erde. Auch die schwere Eisenkugel ist nicht mehr mein Ding. Die würde mir heute wohl nur noch auf die Füße fallen.

Ich stelle fest, dass ein leichter Wind um das Haus weht. Die Sonne ist angenehm und gerade richtig für die Wochenendentspannung, als meine Augen zwei Schmetterlinge erblicken. Ich sitze leicht erhöht – und schaue ihnen beim Turteln zu.

Ich sage mal „turteln“ … Natürlich kenne ich nicht die Psychologie der Schmetterlinge. Vielleicht führen sie gerade, wild flatternd, auch nur eine lebhafte Kommunikation. Da ich kein Biologe bin, weiß ich aber auch nicht, wie Schmetterlinge sich verhalten, wenn sie kommunizieren.

Nein, ich entscheide mich: Sie turteln miteinander. Es sind zwei große Schmetterlinge, gleicher Art und Farbe, die für mehrere Sekunden ihre Nähe suchen.

Dann, plötzlich, fliegt der eine von beiden eine große Kurve, verschwindet aus meinem Blickfeld. ‘Ob sie sich wiederfinden?‘, denke ich menschlich naiv. Schon fallen mir Romeo und Julia ein – und welche Dramen es wohl in der Liebe im Tierreich gibt –, da sehe ich beide wieder nebeneinander flattern.

Was ich mich noch frage: Ob beiden Schmetterlingen ein Happy End gelingt? Ihr wisst schon … Große Liebe, viele Kinder. Ich kann es nicht sagen. Ich sitze ja auch nur so vor mich hin – ein seltener Vorgang – und schaue ihnen beim Turteln zu.

Und ich erinnere mich wieder: Meine Freude an der Natur hat angefangen im Garten meiner Eltern. Es war nicht alles Gold, was glänzte. Vor allem nicht im Hochsprung. Aber in der Erinnerung bleibt ein Glanz. Es muss kein Gold sein.

Danke. Ich liebe Euch.

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp