Wenn sich Himmel und Erde berühren

Das Geschenk von Bormes – Teil 1

Es war in Südfrankreich, an der Côte d’Azur im Jahr 2003. Ich war auf Reisen in der Nähe von Toulon, besuchte ein Seminar. An einem freien Nachmittag wollte ich mich nicht der allgemeinen Tendenz anschließen, Saint-Tropez zu erobern, sondern fragte den Veranstalter nach einem ruhigen Ort, eher im Hinterland gelegen. So entdeckte ich Bormes-les-Mimosas an einem Hang in Küstennähe, nicht touristisch unerschlossen, aber zu diesem Zeitpunkt noch recht still und verträumt.

Mich faszinierten die steilen Treppen, auf denen die Nachmittagssonne ihr Spiel trieb. Der aufbrechende Frühling, der Duft des Südens und diese Einzigartigkeit von Licht und Schatten, die Brechungen und Verwerfungen, die scherenschnittartigen Muster, die der Torbogen warf, und die Helligkeit des Dorfplatzes, auf dem die Boule-Spieler nur im Schatten eines einzigen Baumes Schutz vor der Sonne fanden.

In diesem Szenarium, in dem du nie sicher bist, ob du deine Sonnenbrille aufbehalten oder ablegen sollst, weil es auf den Serpentinenstraßen zu hell und in den engen Häuserschluchten zu dunkel ist, inmitten dieser meeresnahen Gerüche der Côte d’Azur, nur unterbrochen von den stinkenden Abgasen knatternder Mopeds, suchte ich meinen Weg durch den Ort.

Schon fragte ich mich, wo denn in dieser extremen Hanglage die Dorfkirche sei, die sich ja normalerweise am höchsten Platz, sozusagen thronend über allem Irdischen befindet, als mir klar wurde: Es gibt sie nicht. Es lässt sich nicht thronen in dieser Gebirgsidylle … bis ich sie auf einmal am Ende einer Häuserreihe entdeckte. Ich fühlte mich sehr hineingezogen in dieses Gotteshaus. 

Es war recht still und kühl und dunkel. Ein schmuckloses Inneres. Nichts für kulturbeflissene Touristen, wohl aber zur Kontemplation geeignet.

Normalerweise pflege ich mich in die letzte oder vorletzte Bank zu setzen, den Blick schweifen zu lassen und vielleicht ein Vaterunser zu beten. Aber dieses Mal zog es mich, ohne dass ich den Grund benennen konnte, ganz nach vorne. Und so sah ich mich auf einmal in der ersten Bankreihe sitzen. Mein Blick fiel auf ein großes Gemälde auf der rechten Seite: Maria, die Mutter Gottes, mit dem blauen Mantel, als Symbol für die himmlische Liebe, und einem roten Herzen in der Brustmitte, das mit einem Schwert durchbohrt war.

Direkt gegenüber auf der linken Seite befand sich die Abbildung des triumphierenden Jesus Christus, mit einem ebenfalls roten, dornenumkränzten Herzen in der Mitte der Brust.

Man könnte nun sagen, dass ich in einem Dreieckswinkel zu beiden Gemälden saß, so, wie man es zu Hause von den Lautsprecherboxen gewohnt ist, um Stereo zu hören. Ich verbat mir solche Gedanken angesichts des Ortes und schaute unmittelbar vor mir auf das Strahlenkruzifix mit dem gekreuzigten Jesus. 

Umgeben von diesen – im künstlerischen Sinne – eher kitschig zu nennenden Zeichen christlichen Glaubens fühlte ich mich in diesem Bergdorf zwischen Hyères und Saint-Tropez irgendwie zu Hause. Unmerklich wuchs mein Empfinden: Ich wurde in der Mitte zwischen dem Altarkreuz und den beiden Herz-Jesu-Gemälden …, ja wie soll ich es beschreiben … eingesogen. Es begann nun eine Zeit, oder besser Zeitlosigkeit, die ich, als ich wieder „bei Verstand“ war, als eineinhalb Stunden bemessen konnte.

Aber der Reihe nach: Mir fiel zunächst ein, dass ich in den letzten neun Monaten vor diesem denkwürdigen Tag versucht hatte, mein Leben voll und ganz über den Verstand zu regeln. Ich versuchte, Texte für mein geplantes Buch zu schreiben und kam kein Stück weiter. Ich versuchte, positiv zu denken: Es war Krampf. Ich versuchte, mein Laufband zu strapazieren: Es half nichts. Ich versuchte, zu meditieren, um Eingebungen zu erfahren: Vergebens. Die letzten neun Monate waren Stress gewesen. Ohne jeden zählbaren Erfolg. Ohne Ausgleich. Ohne Sinn. Ja, ohne wirkliche Lebensqualität. 

Wird fortgesetzt

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp

Aus: Das Sternum-Projekt: Die 7 Schlüssel für ein reiches Leben – Dr. phil. Georg Rupp (macht sinn GbR, 1. Auflage 2004, ISBN 978-3938270028, Preis 29,80 Euro)