Du sollst nicht bewerten!

Mensch, gerade mäht der Nachbar seinen Rasen. Muss sein, klar. Aber diese elektrischen Rasenmäher lassen ganz schön Lärm ab. Ist seine Rasenfläche wirklich so groß, wie es sich anhört? – 

Ah, jetzt Ruhe … Nein, er fängt an zu flöten. Eine Melodie kann ich nicht erkennen. Er flötet schief. – Jetzt fehlt nur noch, dass der Hund kläfft … Das nicht, aber jetzt geht wieder der Rasenmäher.

Gut, es ist nicht mehr Mittagszeit. Da kann man natürlich kein Veto einlegen.

Ich war allerdings gerade dabei, ein Buch vom Dalai Lama zu lesen, als der Motor wie eine Kettensäge aufheulte. Und vom Dalai Lama lerne ich doch immer: einfach wahrnehmen, Gedanken loslassen, die Dinge des Lebens nicht bewerten.

Ich bemühe mich also, das Mähen in Nachbars Garten nicht zu bewerten. Es ist, wie es ist. Es ist immer so, wie es ist. Und es ist verdammt nochmal jetzt auch so, wie es ist.

Da fällt mir ein: Ich fokussiere mich wieder mal nach außen, nicht nach innen. Könnte ich doch in diesem Moment in die innere Ruhe, den tiefen Frieden in meinem Herzen eintauchen. (Den gibt es bei uns allen, davon bin ich überzeugt. Wir sind nur oft weit weg von unserer Mitte.)

Nicht bewerten? – Ich weiß nicht.

Hunger und Elend nicht bewerten? Die Despoten dieser Welt nicht bewerten? Die täglichen Ungerechtigkeiten nicht bewerten?

Der Dalai Lama hat sicherlich recht. Wir sind gelassener, wenn wir nicht bewerten. Wir sind freier, wenn wir nicht bewerten und nicht verurteilen. Aber wir sind auch nicht im asiatischen Lebensraum groß geworden. 

Ich tröste mich: Ich meditiere und bitte die geistige Welt um mehr Gelassenheit, um das Vermögen, nicht zu bewerten, nicht zu urteilen. Manchmal klappt es ja. 

Zum Beispiel jetzt, als der Nachbar seinen Rasen fertig geschnitten hat und wieder Ruhe herrscht …

In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp