Weihnachtsbrief 2018

Von ganzem Herzen frohe und gesegnete Weihnachten! 

Liebe Leserinnen und Leser dieses Briefes,

für den diesjährigen Weihnachtsbrief habe ich das Thema „Perspektivwechsel“ gewählt. Diese Veränderung der Wahrnehmung beschrieb schon der Vater des „Kleinen Prinzen“, Antoine de Saint-Exupéry, wie folgt: „Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung.“

Der Advent gibt uns die Möglichkeit dazu. Gewiss, nur die Möglichkeit. Denn oftmals sind wir hin- und hergerissen zwischen dem Anspruch, in dieser Gesellschaft „mitzuschwimmen“ – und der Sehnsucht nach dem winterlichen Klang der Stille. 

Vor einigen Wochen fiel mir „Der andere Advent“ in die Hände, ein Kalender der Initiativen zum Kirchenjahr. Er ist sehr hochwertig und schenkt uns tägliche Impulse vom 1. Dezember bis zum 6. Januar, dem Tag der Heiligen drei Könige. 

An einem solchen Tag stand unter dem Impuls „Wege nach innen“ ein Text von Iris Macke zum Perspektivwechsel. Lest ihn bitte zweimal: Wie gewohnt von oben nach unten. Aber dann auch von unten nach oben. Was sagt Euch das?

Perspektivwechsel
Advent heißt Warten
Nein, die Wahrheit ist
Dass der Advent nur laut und schrill ist
Ich glaube nicht
Dass ich in diesen Wochen zur Ruhe kommen kann
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich mich ausrichten kann auf das, was kommt
Es ist doch so
Dass die Zeit rast
Ich weigere mich zu glauben
Dass etwas Größeres in meine Welt hineinscheint
Dass ich mit anderen Augen sehen kann
Es ist doch ganz klar
Dass Gott fehlt
Ich kann unmöglich glauben
Nichts wird sich verändern
Es wäre gelogen, würde ich sagen:
Gott kommt auf die Erde!

Nun lest den Text von unten nach oben!

Die Ankunft Christi wahrzunehmen, setzt einen Perspektivwechsel voraus: Aus der Hektik in die Ruhe, aus dem Alltagslärm in die Stille. Nicht „mehr von allem“, sondern „weniger“. Denn wenn wir Menschen unser Herz und unsere Seele öffnen wollen, um Jesu Geburt in uns aufzunehmen, müssen wir zu unserem Wesen nichts hinzufügen. Ganz im Gegenteil: Wir müssen uns reduzieren! Wir müssen etwas verlieren, um etwas zu gewinnen.

Ein Meister des „Wegnehmens“ war der weltberühmte Künstler Michelangelo Buonarroti. Michelangelo, das große Genie, saß vor einem Marmorblock und begann die Skulptur des Davids zu gestalten. Nach der Vollendung seines Werkes erklärte er den Zeitgenossen: „Ich sah im Marmorblock schon zu Beginn den David in seiner ganzen Anmut und Gestalt. Ich musste nur wegnehmen, was nicht David war. 

Wie können wir mit ganzer Seele Weihnachten erleben? Indem wir uns und unsere Aktivitäten im Außen reduzieren. Indem wir uns erlauben, „offline“ sein zu dürfen, indem wir uns die Freiheit schenken, von Augenblick zu Augenblick zu leben. Denn es geht ja nie um mehr. Es geht nie um gestern oder morgen. Gestern ist vorbei. Ja, selbst die letzte Sekunde ist vorbei. Morgen ist nur ein Versprechen. Ja, selbst die nächste Sekunde ist nur ein Versprechen. Wir haben keine Wahl und keine Kontrolle. Es gibt nur das „Jetzt und Hier“, diesen einen Augenblick. Immer. Und überall. Diese eine Sekunde Stille

Wir können uns diesen Augenblick kaputt denken, kaputt reden, kaputt wünschen, aber wir können ihm nicht entkommen. Nie und nimmer. Dieser eine kleine Augenblick ist alles. Ist unser Leben. Unser Lieben. Unser Fluchen. Unser Verdammen. Unser Hassen. Unser Hoffen. Unser Zweifeln. Unsere Verzagtheit. Unser Mut. Unsere Verbitterung. Unsere Dankbarkeit. Unsere Freude. Unser Lachen. Unser Unglück. Unser Glück.

Wir alle entscheiden darüber, was dieser eine Moment, diese eine Sekunde, für uns bedeutet. Wenn wir bereit sind, uns der Stille, dem inneren Frieden, für diesen einen Moment zu öffnen, öffnen wir für diesen einen Augenblick die Pforten zum inneren Paradies. Zum Raum unserer Seele. Zum Raum unseres Herzens. 

Ja, und nur dann können wir erfahren und tief in uns spüren, dass Jesus und das Reich Gottes „inwendig in uns wohnen“ (Lukas-Evangelium 17, 21). 

Es gibt eine weitere Perspektive, um Weihnachten mit offenem Herzen zu feiern. Das sind Eure Familie, Eure Kinder, die Freundinnen und Freunde. Lassen wir uns jetzt aufeinander ein. Auf das Weihnachtsfest, die Geburt Christi, die Liebe und das Mitgefühl uns selbst und unseren Nächsten gegenüber. Teilen und feiern wir, gerade in diesen Tagen, die Gemeinschaft mit unseren Lieben. 

Freuen wir uns über Geschenke. Aber vielleicht können wir auch – aus einer anderen Blickrichtung – erkennen, dass Zuwendung und Liebe die wundervollsten Geschenke sind, die wir uns offenbaren können. Mir hat dazu der Gedanke von Virginia Satir gefallen, die zum Thema „Geschenke“ schrieb. „Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. – Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn das geschieht, entsteht Beziehung.“

So wünsche ich Euch und Euren Familien Frieden und Geborgenheit inmitten der Weihnachtsfreude. Von ganzem Herzen frohe und gesegnete Weihnachten! 

In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp