Bedingte Liebe – Teil I

Ein Briefwechsel über das Scheitern einer Beziehung.

Vor kurzem erhielt ich von einer jungen Frau (Mitte zwanzig) einen Brief mit folgendem Inhalt:

Hallo Herr Dr. Rupp,

vielleicht können Sie mir einen Rat geben. Ich habe vor einem Monat ein echt tolles Mädchen kennen gelernt. Alles war perfekt, bis ich ihr erzählt habe, dass ich Tabletten nehmen muss – und dies vielleicht für mein ganzes Leben.

Seitdem hat sie keine Gefühle mehr für mich und kann nicht mehr mit mir zusammen sein. Auch wenn es nur ein Monat war, bin ich wirklich traurig. Die Sache ist gelaufen, und ich weiß nicht weiter. 

Daraufhin antwortete ich ihr:

Guten Tag Sandra (Name geändert),

das ist natürlich eine Situation, in der ich keinen einfachen, vielleicht aber doch einen heilsamen “Rat“ geben kann.

Wenn Sie schreiben: „Alles war perfekt…“, dann kann es natürlich nur heißen: „Alles schien perfekt…“

Ihre Trauer ist verständlich. Die sollten Sie auch zulassen. Trauer darf – aus psychologischer Sicht – eben nicht verleugnet werden. Ohne Konfrontation mit der Trauer, und ohne ihre Akzeptanz, entsteht keine Trauerverarbeitung. Das heißt natürlich nicht, dass Sie über Wochen und Monate in eine Resignation, eine Selbstbemitleidung oder Selbstbejammerung abgleiten werden. Es gibt Menschen, die über den Verlust einer liebgewonnenen Person – durch Trennung oder Tod – nie hinweg kommen (wollen) und in einer „komplizierten Trauer“ verharren. 

Das Hinschauen zur Trauer (Wo spüre ich sie körperlich? Nimmt sie mir den Atem? Fühlt sich mein Herz, mein Brustkorb schwer an? Fühle ich mich wie gelähmt? Usw.) macht die Sache, im wahrsten Sinne des Wortes, bald schon leichter. Aber auch das geht nicht von heute auf morgen.

Es lässt sich viel über echte Liebe und entlarvte Gefühle schreiben. Ein paar Gedanken hierzu: Das, was dieses „tolle Mädchen“ auszeichnet, ist keine bedingungslose Liebe, sondern bedingte Liebe. Also: „Ich liebe Dich, wenn Du gesund bist. Ich liebe Dich, solange Du nicht anstrengend für mich wirst. Ich liebe Dich, wenn Du keine Macken hast. Ich liebe Dich, wenn ich meine eigenen schwachen Seiten nicht in Dir gespiegelt sehe. Ich liebe Dich, solange Du der Fels in der Brandung bist. Ich liebe Dich, solange Du meinem Ideal entsprichst. Ich liebe Dich, solange Du auf dem Sockel stehen bleibst…

Aber wehe, Du stürzt vom Sockel, auf den ich Dich gestellt habe. Wehe, Du erfüllst meine Erwartungen nicht. Wehe, Du hast Schattenseiten, die mir Angst machen. Wehe, wenn ich durch Dich auf meine eigenen Schattenseiten gestoßen werde. Wehe, wenn mit Dir die „Wolke 7“ kein Dauerzustand ist. Wehe, wenn mein Narzissmus durch Dich nicht getragen wird. Wehe, wenn Du versagst oder scheiterst… 

Denn: Ich will kein Auf und Ab, keine Höhen und Tiefen, kein endliches Glück. Ich will gar nicht hinschauen, wenn es schwierig wird. Ich will Oberfläche und Spaß, aber keine Tiefe mit Dir. Ich habe Angst, in einen Strudel zu geraten, für den ich nicht gewappnet bin. Nicht geeignet bin. Ich habe nicht gelernt, mit Konflikten umzugehen. Ich bin zu schwach, zu klein, zu unselbstständig.

Ich fordere vom Leben, dass es einfach und überschaubar ist. Dass es mich verschont von Problemen, die mir Angst machen. Ich fordere von meiner Partnerin, dass sie mein Leben einfach und überschaubar macht. Und damit sicherer. Ich sehne mich nach Schutz und Geborgenheit. Beides finde ich nämlich nicht in mir. Ehrlich gesagt, finde ich mich selber nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich habe gehofft, das in Dir zu finden. Und jetzt nimmst Du Tabletten, und das wahrscheinlich ein Leben lang. Damit kann ich nicht umgehen. Du könntest ein „Problemfall“ werden. Dann wäre ich total überfordert.

In guten und in schlechten Tagen? Nein, von den schlechten will ich nichts wissen. Dann ziehe ich mich lieber zurück. Sofort. – Meine Gefühle? Die kann ich schnell in die Tiefkühltruhe legen! Die kann ich mir vom Hals schaffen. Gott sei Dank. Sonst wäre ich ja meinen eigenen Gefühlen, meiner Enttäuschung, meiner Wut, meiner Resignation ausgeliefert. Nein, wie gesagt: Ich will es im Leben einfach haben. Das ist mir alles zu kompliziert. Ich ziehe mich dann mal zurück…“

Wird fortgesetzt…

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp