Das sinnerfüllte Leben (1)

Neulich, als ich gerade mit einer Meditation beginnen wollte, fing der Hund des Nachbarn fürchterlich zu bellen an. Es ähnelte schon eher einem hellen Kläffen, das mich an atonale Quietsch-Geräusche erinnerte.

Das störte mich in meiner Absicht zur Selbstversenkung doch sehr, bis mir die Eingebung zuteil wurde: Auch das ist ein Geschöpf Gottes. Übe dich in Toleranz!

Nach zwanzig Minuten hörte der Hund des Nachbarn auf zu bellen, besser gesagt, zu kläffen oder zu quietschen…

Können Sie sich denken, wie wunderbar, wie herrlich Stille in diesem Augenblick sein kann? Es löst wahrscheinlich ein ähnliches Gefühl aus wie jenes, das zu den größten Glücksmomenten überhaupt gehört: Wenn Zahnschmerzen nachlassen.

Die Stille tat gut. In der nun ungestörten Meditation kamen mir die folgenden Gedanken: 

Stille.
Die Stille ist der Ursprung allen Seins. Die Stille ist das Leben. Die Tiefe Deiner Existenz. Lerne die Stille schätzen.

Lass die Kinder erfahren, was Stille bedeutet.
Stille schafft Raum für Angstfreiheit. Für Achtsamkeit. Für Kreativität.

Lass die Kinder mit ihren Sinnen erleben, was es heißt, zur Ruhe zu kommen.
Stille schwingt. Stille nimmt Form(en) an.

Schaffe deshalb mit den Kindern Freiräume für innere Sammlung, für Konzentration.
Für das wirkliche Fundament im Leben.
Für die Wurzel der eigenen Identität.
Und damit für den Ursprung aller Fragen nach der Sinnhaftigkeit unseres Lebens.

Aus der Stille wachsen Fragen.
Wachsen Antworten.

Aus der Stille wächst die Sensibilität, die Empfindsamkeit für die kleinen Dinge des Lebens, die oftmals die großen sind.

Das Spektakuläre ist nicht, was den Menschen ausmacht.
Das Phantastische ist nicht, was unser Leben ausmacht.

Es sind die tausend kleinen Sonnen, die uns tagtäglich begegnen. Uns tagtäglich scheinen, er-scheinen.

Jeder Grashalm erzählt vom Wunder des Lebens, jeder Käfer vom Wunder der Natur, jedes Lächeln vom Wunder des Menschseins.

„Leben ist Aufmerksamkeit!“ sagte Hugo Kükelhaus.

Es sind die kleinen, oft unscheinbaren Dinge des Lebens, die uns das Wunder verkünden. 

Wer die kleinen Dinge des Lebens nicht aus den Augen verliert, schaut mit Respekt auf die ganze Schöpfung.

Wer über die kleinen Dinge noch staunen kann, lässt sich von Sensationen, von spektakulären Aktionen nicht so schnell gefangen nehmen.

Es war André Heller, der sagte: „Solange es das Staunen gibt, feiert die Banalität keine Triumphe.

Die Weisheit des Lebens liegt in der Tiefe und Stille.
Die Weisheit findet man nicht in der Hektik und im Lärm.

In der Ruhe, im Schauen, im Hören, im Spüren und Ahnen liegen Kraft und Selbstvertrauen verborgen.

In einer Zeit, in der sich viele Menschen wieder besinnen, weil die Unsicherheit, das Chaos, der alltägliche Kampf, die Zentrifugalkräfte des Lebens, uns immer wieder aus unserer Mitte reißen, in dieser Zeit rücken die Werte des Menschseins wieder mehr in den Mittelpunkt.

Ohne moralisierenden Zeigefinder, aber in Demut vor dem Leben und der Allmacht Gottes, können wir auf eine Erkenntnis hoffen:

Unser Leben ist nie und nimmer sinn-los. Wir sind nie abgeschnitten vom Sinn.

Die Frage ist nur: Was macht Sinn? (wird fortgesetzt)

In herzlicher Verbundenheit 

Georg Rupp