Heute möchte ich mit euch ein wenig darüber reflektieren, was Menschen seit mehr als zweitausend Jahren bewegt: Die Frage nach dem Glück und dem guten Leben.
Solange es Menschen gibt, die über ihr Leben nachdenken, wird es verschiedene Ansichten und Antworten geben.
Aristoteles (384 bis 322 v. Chr.), einer der bedeutendsten Philosophen der Antike, hätte im Jahr 2014 auf die Frage nach dem guten Leben vielleicht geantwortet:
„Viele Menschen der heutigen Zeit konzentrieren sich auf etwas, was ich gar nicht als Glück bezeichnen würde, sondern als Streben nach lustvollen Erlebnissen. Das ist aber keine besonders
sinnvolle Unternehmung. In meinen Augen ist sie die niedrigste von den dreien, die ich prinzipiell unterscheiden möchte. Beim Streben nach Lust ist nämlich nur das Begehrungsvermögen angesprochen, also jene Triebe nach Befriedung grundlegender Bedürfnisse, die wir auch mit den Tieren teilen.
Das wahre Glück liegt in der Eudämonia, das meine ich mit gutem Leben. Dieses gute Leben ist wiederum nur dann gegeben, wenn wir unsere spezifisch menschlichen Fähigkeiten zur vollen Entfaltung bringen: Unsere Vernunftkräfte, unsere Fähigkeit zu denken, Erkenntnisse zu gewinnen und philosophische Einsichten zu formulieren.
Die höchste Lebensform ist demnach das kontemplative Leben, das der Theoria, der Erkenntnis, gewidmet ist. Es ist das Leben, das viele Wissenschaftler, Philosophen, Schriftsteller und all jene führen, die ihr Leben der Ergründung der Welt, des Menschen und der letzten Dinge gewidmet haben.“
Auch Aristoteles hat in seinen Schriften immer wieder betont, dass Freundschaften für ein gutes Leben wichtig sind. Was hätte er darüber gedacht, dass heute Freundschaften virtuell gepflegt werden, das man Hunderte von Freunden bei Facebook haben kann? Möglicherweise hätte er geantwortet:
„Mir leuchtet das überhaupt nicht ein. Es geht doch nicht darum, möglichst viele Freunde zu haben, sondern möglichst gute Freunde – Menschen, mit denen man Ideale und Ziele teilt, auf die man sich aber auch in der Not verlassen kann, die einen ein Leben lang begleiten.
Geht es nicht vielmehr um die Qualität unseres Lebens, darum, ihm Sinn und Tiefe zu verleihen – und nicht um die mehr oder weniger planvolle Maximierung von Lusterlebnissen?”
So oder ähnlich hätte sich möglicherweise Aristoteles, einer der einflussreichsten Philosophen der Geschichte, geäußert.
Um immer wieder Bezug zum guten Leben herzustellen, brauchen wir kleine Inseln der inneren Einkehr und Besinnlichkeit. Wirkliche Erfüllung finden wir dabei nur selten im Außen. Die wahre Schatzkammer ist in unserem Inneren verborgen.
Achten wir auf unsere Sehnsucht nach Ankommen, nach Innehalten, nach Heilung. Denn die Fliehkräfte des Lebens machen uns krank. Wir erleiden alle das Schleudertrauma unseres Lebensstils. Dagegen wirkt jede Kerze, die wir entzünden, beruhigend und konzentrierend auf uns. Sie ist mit ihrer lebendigen Flamme ein Symbol für die innerste Mitte, für die Vollkommenheit und Schönheit dieser Welt.
Die Frage nach dem Glück und dem guten Leben lässt auch folgende Antwort zu: „Glück“ ist kein Dauerzustand, sondern eher die kleine, stille Freude des Augenblicks. Der Tau frühmorgens auf den Feldern. Das Lachen eines Kindes. Das Zwitschern eines Vogels. Die Geborgenheit zu Hause. Eine gut und warm gefüllte Badewanne. Ein Sonnenstrahl. Freunde. Ein belebendes Gespräch über Gott und die Welt. Ein Glas guten Weins. Himbeereis. Reisen. Ein Moment, für den wir dankbar sind. Der unsere Seelen weitet. Ein offener Horizont. Eine Perspektive. Ein gutes Buch. Zwei zärtliche Hände. Zwei gütige Augen. Fünf Sinne. Zeit.
An diesen kleinen Freuden Gefallen zu finden, bedeutet, nicht umsonst gelebt zu haben. Und eine Antwort gefunden zu haben auf die Frage nach dem Glück und dem guten Leben.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp
Die Gedanken zu Aristoteles sind angelehnt an ein Essay von Dagmar
Borchers, Professorin für Angewandte Philosophie an der Universität Bremen. Titel:
Zum Tee bei Aristoteles … Was ist gutes Leben? In: Publik-Forum EXTRA Leben,
Dezember 2012.