Was sollen wir denn mit diesem seltsamen Vergleich anfangen?
„Gepflasterte Straße“ … Klar. Aber was meint „Normalität“ überhaupt? Was ist „normal“?
Nun ist die Überschrift dieses Artikels nur der erste Teil eines Zitats. Vollständig heißt es:
„Die Normalität ist eine gepflasterte Straße;
man kann gut darauf gehen,
doch es wachsen keine Blumen auf ihr.“
Das soll der niederländische Maler Vincent van Gogh (1853-1890), einer der Begründer der modernen Malerei, gesagt haben.
Was aber bedeutet es nun, „normal“ zu sein? Brav zu sein, nicht anzuecken, sich nicht ins Rampenlicht zu stellen?
Oder: Sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit zu halten, die Nachtruhe nicht zu stören, andere Menschen mit seiner Meinung nicht zu überfordern?
Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, was „normal“ ist. Wenn aber, wie der Kölner als solcher gerne sagt, jeder Jeck anders ist, kann „Normalität“ nicht das Maß aller Dinge sein.
Und, ehrlich gesagt: Ich selbst möchte nicht „normal“ sein. Das wäre für mich so, als hätte ich keinen Lebensmut, keine Fantasie, keine zündende, bunte Freude in mir. Also: „Normalität“ ist nicht mein Ding. Und: Das Normale – und immer nur das normale Leben ohne große Veränderungen und neue Erfahrungen – kann krank machen.
Mein verstorbener Mentor, der Arzt und Psychotherapeut Dr. Wolf Büntig, prägte für Menschen, die sich immer und überall im „Normbereich“ bewegen, einen eigenen Krankheitsbegriff: Die „Normopathie“. Und verstand darunter: Das Leiden am stinknormalen Leben.
Oft gehören Menschen dazu, die nie aus der Rolle fallen, auch nie auffallen möchten. Die auf Abenteuer und Mutproben verzichten, weil sie ja schiefgehen könnten. Weil man versagen und sich blamieren könnte, ausgelacht oder rot anlaufen könnte. Weil man sich selbst nicht über den Weg traut. Dann lieber ein ganz „normales“, mittelmäßiges Leben führen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Das ist völlig in Ordnung. Denn es ist die eigene Wahl.
Aber die gepflasterte Straße ist eben auch keine Blumenwiese. Das Pflaster entwickelt keine Farbenpracht, keinen Duft, ist kein „Hingucker“. Das Pflaster lässt uns einigermaßen sicher durchs Leben laufen. Mehr aber auch nicht.
Vincent van Gogh neigte in seinen Sehnsüchten und Wünschen immer mehr zur anderen Seite. Bei geringstem Lebensstandard floss das allermeiste Geld in seine Malutensilien, vor allem in die Farben. In diesen Farben schwelgte er, malte oft wie ein Besessener. (Wie alles im Leben, kann man natürlich auch die Blumenwiese überbeanspruchen.)
Vielleicht sollten wir ein Leben lieben lernen, das uns lebendig werden lässt auf den Blumenwiesen unseres Lebensweges. Dass wir uns hin und wieder aber auch mit den gepflasterten Straßen versöhnen. Von Zeit zu Zeit können sie hilfreich sein, um uns auf den Weg zur nächsten bunten Blumenwiese zu führen.
In herzlicher Verbundenheit
Ihr Georg Rupp