Prinzessin auf der Erbse

Der alltägliche Narzissmus

Ein chinesisches Sprichwort lautet: „Dass die Vögel des Kummers und der Sorge über Deinem Haupt fliegen, kannst Du nicht ändern. Doch kannst Du verhindern, dass sie Nester in Deinen Haaren bauen.“

Was mit so blumenreichen Worten daherkommt, ist die erfrischende Erkenntnis, sich nicht alles zu Herzen zu nehmen, nicht so Vieles an sich heranzulassen, sich besser abgrenzen zu können. Vor allem aber: sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. 

Das war für eine Patientin ein Riesenproblem.

Sarah (Name geändert), achtzehn Jahre jung, möchte nämlich von allen Menschen, die ihr wichtig sind, geliebt werden. „So, wie ich bin!“ sagt sie mit leichtem Trotz in der Stimme. An der Betonung ihrer Worte erkenne ich, wie wichtig ihr die Akzeptanz durch ihr soziales Umfeld ist. Wenn ihre Mutter eine kritische Bemerkung fallen lässt, kann Sarah laut werden. Sehr laut. „Wer Kritik äußert“, davon ist sie überzeugt, „akzeptiert mich ja nicht so, wie ich bin.“  

‘Prinzessin auf der Erbse‘ denke ich. Und: ‘Der alltägliche Narzissmus nimmt immer mehr zu.‘

Gut, mit achtzehn Jahren ist man noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Da wird das Leben schon noch den Schleifstein hervorholen. Nur, wenn ich das der Sarah so klar sagen würde, bekäme sie mit mir als ihrem Therapeuten wahrscheinlich ein Beziehungsproblem. Also frage ich sie: 

„Geht die Welt unter, wenn Sie jemand nicht so akzeptiert, wie Sie sind?“ Und: „Kann jemand, der nicht alles und jedes an Ihnen akzeptiert, Sie dennoch mögen?“ Weiter: „Halten Sie es für grundsätzlich denkbar, dass Sie sich eines fernen oder näheren Tages auch mit Ihren sämtlichen Macken anfreunden könnten? Und wäre ein Teil von Ihnen nicht sogar erleichtert, wenn Sie eines fernen oder näheren Tages zu sich sagen könnten: Scheiß drauf. Ich lass mich jetzt so, wie ich bin?!“ – Sarah lacht.

Ich greife in die therapeutische Humorkiste: „Soll nicht sogar der liebe Gott am siebten Tag nach der Erschaffung seiner Welt gesagt haben: ‘Fertig! Morgen ist Abgabe! Ich lass sie jetzt so!?‘“ 

Lachen ist Angstfreiheit. Und Humor der schönste Weg, die Dinge des Lebens von der lockeren Seite zu betrachten. Die Verkrampfungen im Gehirn zu lösen. Mehr Leichtigkeit zu spüren.

Helfen kann dabei auch die Anwendung der sogenannten Trance-Sprache. Denn die kann der rationale Verstand nur ganz schlecht begreifen. Ich fahre also fort:

„Und, Sarah, was meinen Sie? Wie viel leichter ist Ihr Leben, wenn Sie jetzt beginnen, als realistisch denkender Mensch zu sagen: ‘Soll doch jeder von mir halten, was er will. Ich bin doch nicht so blöd und zieh mir das an!‘ – Und kann die empfindsame ‘Prinzessin auf der Erbse‘ die Erbse (= Blockade) nicht einfach wegstoßen, und die Gelassenheit und Ruhe unmittelbar genießen, die sich sofort einstellt, wenn Sie die Verantwortung für Ihre Gefühle übernehmen?! Und die umso stärker wird, je mehr Sie sich abgrenzen und bei sich selbst bleiben?! Was Ihnen jetzt schon so gut gelingt, dass Sie über sich selbst sehr erstaunt sind, dass es Ihnen nicht schon viel früher so gut gelang. Ja, fühlt es sich nicht wie ein ganz neues, freies und leichteres Leben an, wenn Sie ab jetzt ganz tief überzeugt sind: Was andere über mich denken, geht mich nichts an!“?

Irgendwie ist Sarah verwirrt. Was passiert denn da gerade? Das Denken der anderen ist weit weg – in diesem Augenblick. So wie ihr eigenes blockierendes Denken. Sie lächelt. „Stimmt“, sagt sie nach einer kurzen Weile. „Die Welt geht nicht unter, wenn mich jemand kritisiert.“ Und betont: „Ich hab es selbst in meiner Hand …“

Wir müssen ja auch wirklich nicht jeden Mist glauben, den sich unser Gehirn so zusammendenkt.

In herzlicher Verbundenheit

Georg Rupp