Islands of Dreams. Inseln der Träume. Sie waren im Durchschnitt nur fünfzig Zentimeter groß und kreisrund. Also kleine Inseln. Sehr kleine. Aber wir liebten sie. Wir waren sechzehn Jahre jung.
Mein Schulfreund, der Müjü – „Müjü“ hieß er natürlich nicht, sondern Ernest, aber in unseren Dada-Zeiten war er der „Müjü“ –, also Müjü kam eines Tages und sagte froh gelaunt: „Ich hab meine Eltern rumgekriegt. Ich darf im Keller einen Fetenraum einrichten.“ – „Party“, sagten wir – oder auch „Fete“. Na, jedenfalls ein Raum für das Abfeiern am Wochenende.
„Natürlich helfe ich Dir“, bot ich ihm an. Es lohnt sich nicht, die Einzelheiten hier aufzuzählen. Die Sitzbänke polstern, die Decke mit Eierkartons schalldicht verkleiden, eine Theke zusammenzimmern. Und, ganz wichtig: Das Licht dimmbar machen. Äußerst dimmbar. Das Licht nicht mehr auf „sehen“, sondern auf „spüren“ runterfahren. Das schien uns für die Tuchfühlungsübungen sehr wichtig zu sein.
Nun gab es damals, in den 1960ern, tatsächlich junge Mädchen, die auch auf privaten Partys ihre Tanzstundenschritte erproben wollten. Wenn es die Räumlichkeit zuließ.
Nur war für einen echten Cha-Cha-Cha kein Platz im Partykellerraum. Wir hatten eine ganz andere Idee. Beim Streichen des Betonbodens ging uns nämlich die graue Farbe zur Neige. Sie reichte nicht für den quadratischen Raum. Also dachte Müjü nach: „Wenn wir fünf Kreise auf den Boden zirkeln und drumherumstreichen, kommen wir mit der grauen Farbe aus.“ Die anderen verstanden nicht ganz. „Das sind dann“, erklärte er, „die Inseln der Träume. Für den Klammerblues.“ Alle Jungs waren Feuer und Flamme. Und schon zur Eröffnungsparty erklärten wir der Damenwelt, dass ein Übertreten der Kreise während des Tanzens nicht gestattet sei. Bei langsamen Ohrwürmern konnte das gelingen.
Das Essen lieferte Baka, die Oma meines Freundes. Am besten gelangen ihr die Hühnchen. Scharf gewürzt und für jeden reichlich. Wir waren ihr sehr dankbar dafür.
Die ganzen Kellerpartys endeten irgendwie unspektakulär. Unsere Träume verwirklichten sich kaum auf diesen „Islands of Dreams“. Meistens auch nicht nachher. Eigentlich eher nie. – Einmal stolperte eine Mutter mit scharfem Ton in den Keller und kommandierte ihre 16-jährige Tochter nach Hause. Sie stürmte so hektisch herein, dass wir das Licht vor lauter Überrumpelung nicht mehr hochfahren konnten. Da stand sie in der aufgerissenen Kellertür und rief wütend ihre Tochter. Zu sehen war sie ja nicht.
Baka, die Oma, kam keuchend hinterhergelaufen. Sie hatte uns nicht mehr warnen können. Was ihr leidtat. Sie war immer auf unserer Seite.
Und ich sinniere gerade über diese Miniakzente unseres Lebens. Beinhalten sie im Grund nicht alle Farben und tausend Lichter? Vieles davon vergessen wir im Laufe unseres Lebens. Aber vom ersten Partykeller sind es diese fünf farblosen Kreise, fünfzig Zentimeter im Durchmesser, an die ich mich absolut gerne erinnere. Unsere „Inseln der Träume“. – Passend dazu sangen damals „The Springfields“ den Hit „Islands of Dreams“ mit der großartigen Dusty Springfield als Leadsängerin.
Damals, als wir aufbrachen, erwachsen zu werden.
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp