Klar, wir alle. Gerade war die Zeitumstellung. Eine Stunde zurück. Auf Winterzeit. Also auf „normal“.
Gut …, aber was ist schon „normal“?! Bald, am 11. November, erlösen die Jecken wieder ihren Hoppeditz, ihren Nubbel … oder wie die Schelmenfigur des Karnevals in den verschiedenen Städten und Kulturen heißt.
Wenn wir also an der Uhr gedreht haben, ist der Sommer vorbei.
Und ich frage mich: Bin ich über den Frühling aufgeblüht? Und habe ich über den Sommer Energien gesammelt?
Das schaffen nicht alle. Denn es gibt Menschen, die lieben den November von allen Monaten am meisten.
Irmgard (Name geändert) hatte keine leichte Kindheit. Ihr Vater war herrisch und ungerecht. Wenn er am späten Nachmittag von der Arbeit kam, mussten alle seine Kinder bereits im Bett liegen und schlafen. Nach Feierabend wollte er von ihnen nicht mehr gestört werden. Und ihre Mutter setzte sich nicht für sie ein.
Wenn es über die Sommermonate lange hell und warm war, stand Irmgard am geschlossenen Fenster der Wohnung und schaute sehnsuchtsvoll auf die Gruppe der Kinder, die draußen lärmend und fröhlich spielten. Sie durfte ja am Nachmittag nicht mehr hinaus. Das tat ihr richtig weh – und deshalb hasste sie die Frühlings- und Sommermonate. Erst im Herbst, erst recht im November, wurde es früher dunkel. Und auch die anderen Kinder spielten um 17 Uhr nicht mehr vor dem Mehrfamilienhaus.
So lernte sie den November zu lieben. Sie war nicht mehr ausgeschlossen von der Fröhlichkeit der Kindergruppe.
Auch in ihrem eigenen Erwachsenenleben hat sich das nicht geändert. Nie mehr. Der Schmerz, nicht dabei zu sein, hatte sich dauerhaft in ihrem Körper eingenistet. Er war im höheren Alter nicht mehr zu löschen.
Eine andere Patientin musste im Sommer vor vielen Jahren eine traumatische Erfahrung durchleben. Sie kannte die Monate von Januar bis Juli. Und von November bis Dezember. Die drei Monate August, September und Oktober waren ihr nur noch bekannt als „der achte, neunte und zehnte Monat“.
Der November war auch für sie der Beginn, der Aufbruch in die „normalen“ Monate. In denen nichts Belastendes, kein Missbrauch mehr passierte. „Jetzt haben wir November!“, meinte sie lächelnd und scheinbar erleichtert. Das Leben wurde wieder auf „normal“ gedreht.
Aber auch, wenn wir den Sommer lieben:
Stärken wir im Herbst und im Winter unsere Lebenswurzeln – so wie es die Bäume, unsere Vorbilder in der Natur, auch halten. Beruhigen wir die Seele nach innen. Und säen wir den Samen, um den Geist auf den Aufbruch des Frühlings vorzubereiten.
Im ewigen Frühling und Sommer zu leben, stelle ich mir anstrengend vor. Die vier Jahreszeiten holen das Beste aus uns heraus: Wir brechen auf, wir feiern das Leben, wir fahren die Ernte ein – und sammeln unsere Kräfte für die nächste Runde auf dem Karussell, das „Leben“ heißt.
In diesem Sinne: einen schönen, anregenden November!
In herzlicher Verbundenheit
Ihr Georg Rupp
