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Für immer jung?

Teil 2: Wie Du die Kurve kriegst

„Männer wollen Teenager bleiben, bis sie fünfzig sind …“, erklärt die Mittvierzigerin. Ihre beiden Freundinnen lachen. Diese Spontananalyse steht im Drehbuch eines Fernsehfilms. Ist mehr dahingeplappert, trifft aber sicher auf viele männliche Exemplare zu.

Tatsache: Es gibt Männer, die sind 50 und glauben immer noch, sie müssten am Strand ihren Bauch einziehen, um einer 20-Jährigen zu imponieren. Sie sind in ihrem Alter noch nicht angekommen. 

Natürlich kannst Du Dich mit 60 oder 70 viel jünger fühlen. „70 ist das neue 50!“ habe ich irgendwo gelesen. Aber selbst in San Francisco findest Du kaum noch Uralt-Hippies, die am „Summer of Love 1968“ festhalten. Viele von ihnen sind ja auch erfolgreiche Rechtsanwälte und Zahnärzte geworden.

„Jeder Zeitraum hat etwas Eigenes“, sang vor Jahrzehnten schon André Heller.

Aber nach wie vor gibt es viele Menschen in ihrer zweiten Lebenshälfte, die das Motto „Forever young“ nicht loslassen wollen. Wie aber kann ich für immer jung bleiben? Leben ist Bewegung und keine Stagnation. „Forever young“ halte ich für eine total stressige Devise.

Es ist doch so: Viele Schwierigkeiten entstehen im Leben, weil Menschen in der zweiten Lebenshälfte versuchen, an den Lösungen festzuhalten, die in der ersten Lebenshälfte gepasst haben. Soll heißen: Sie lernen nicht dazu, sondern greifen auf alte Lösungsmuster zurück. Das Leben verändert uns aber. Das sollten wir akzeptieren und uns weiterentwickeln. 

Ein Gedankenspiel: Stell Dir das Leben nicht als geraden Strich vor, von der Geburt bis zum Tod, sondern als Kreis, als Mandala. Vielleicht hilft es Deiner Vorstellungskraft, wenn Du einen farbigen Mittelpunkt zeichnest. Und einen große Kreis darum malst. In dieser bunten Mitte des Kreises beginnt und endet Dein irdisches Leben. Du machst Dich also mit Deiner Geburt auf eine Wanderschaft zum Rand des Kreises. In Deiner Lebensmitte, am Ende Deiner ersten Lebenshälfte, bist Du an der Grenze angekommen. 

Jetzt musst Du buchstäblich die Kurve kriegen. Denn Du hängst in Deiner Midlife-Crisis (= zweite Pubertät) erst einmal über den Rand hinaus. Weißt eigentlich nicht mehr, wer Du wirklich bist. Die alten Mechanismen funktionieren nicht mehr.

Was jetzt? Beruf wechseln? Partner wechseln? Stadt wechseln? – Hilft alles nichts. Sortiere erst einmal Deine eigene Persönlichkeit. Wer bist Du jetzt, am Beginn Deiner zweiten Lebenshälfte, am Beginn Deines Weges zurück zum Ursprung? 

Ein Lösungsansatz ist folgender: Auf Deinem Rückweg zur Mitte des Kreises 

(= älter werden, loslassen können, zufriedener sein) ist es sinnvoll, das zu leben, was Du auf dem Hinweg zum Rand des Kreises, Deiner Lebensmitte, noch nicht gelebt hast. Ergänze Dich also durch die nicht gelebten Seiten. Sonst wirst Du als Mensch nicht „ganz“.

Hast Du vier Jahrzehnte lang Dein Ego gelebt, solltest Du Dich jetzt zum „mitfühlenden, weisen Lehrer“ entwickeln. Hast Du Dich hauptsächlich in Deiner Mutterrolle gefunden, solltest Du jetzt – mit vierzig – Deine eigenen Bedürfnisse leben lernen.

Wenn Du in der ersten Hälfte den olympischen Idealen „schneller, höher, weiter“ gefolgt bist – was solltest Du auf Deinem Rückweg lernen? – Klar, die ergänzenden Gegensätze. 

Also: Statt schneller nach vorn? – Richtig: langsamer und entspannter leben. 

Statt höher hinaus? – Natürlich: tiefer und achtsamer empfinden. 

Und statt weiter ins Außen? – Ja: näher zu Dir und dem Sinn Deines Lebens. 

Jetzt ist die Lebensphase gekommen, um andere Gaben in uns zu entfalten. Nämlich solche, die uns im Laufe der Zeit befähigen, unser erlerntes Wissen, unsere Lebensweisheiten an die jüngeren Generationen weiterzugeben. 

Lasst uns auf dem „Rückweg“ neugierig bleiben. Machen wir noch viele Erfahrungen – und teilen sie mit anderen. 

Lasst uns in der zweiten Lebenshälfte viel erzählen. Untereinander, mit unseren Kindern, mit unseren Enkeln. In unseren Familien, in unserem Freundeskreis. Sprechen wir über unser Leben.

Schneller, höher, weiter? Das darf auf dem Hinweg zur Lebensmitte sein. Und auf dem Rückweg? Neugierig bleiben, Zeit lassen, Sichtweisen vertiefen, Nähe spüren, dankbar sein, „ganz“ werden. Und viel erzählen. Das ist der Weg zu einem reichen und erfüllten Leben. 

In herzlicher Verbundenheit

Ihr Georg Rupp