Nur einmal im Jahr ist Karneval am Rhein. Eine Clown- und Pappnasenzeit. Turbulente Tage für diejenigen, die bereit sind, sich auszuleben. In Rollen zu schlüpfen. Andere Rollen zu spielen. Verborgene Seiten zu zeigen.
Ist das gut? Ist das schlecht? Ist das normal? Ist das bescheuert?
Heute, in der Karnevalswoche, versuche ich dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Narren galten keineswegs immer nur als komische Figuren, über die ihre Mitmenschen spotten durften. Sie übernahmen oft die Funktion des Mahners zu einem vernünftigen, maßvollen Leben.
Dies lehrt uns die Geschichte der Hofnarren. Denn der ursprüngliche Sinn dieser merkwürdigen Einrichtung lag nicht etwa in der Unterhaltung der Potentaten. Vielmehr sollten die Herrscher durch die Gegenwart des Narren stets an ihre eigene menschliche Begrenztheit und an die Vergänglichkeit irdischen Glanzes schlechthin erinnert werden.
Erst in der Renaissance wurde die ihrem eigentlichen Wesen nach „todernste“ Hofnarrenidee pervertiert, weil sich die geistlichen und weltlichen Würdenträger nun an ihren Narren bloß noch ergötzten, und sie vorwiegend als kuriose Schaustücke oder gar als reine Statussymbole an ihre Residenzen holten.
Was den Narren betrifft, so ist seine Bewertung absolut klar: Er hat nirgends einen festen Platz, fügt sich keiner Norm, passt nicht ins System. Dies begründete im Alltag die Tragik seines Daseins, in der Fassnacht resultierte daraus die Attraktivität seiner Rolle.
Der Narr tanzt und träumt und lacht und weint. Er musiziert und meditiert. Er liebt das Leben – und verliert dennoch den Tod nicht aus den Augen. Er fragt nach dem Woher und Wohin. Er entdeckt den Sinn in der Sinnlichkeit und lebt intensiv den Augenblick. Ins Leben verliebt, verführt er zum Leben.
Narren sind musikalisch: Udo Jürgens besang das „Narrenschiff“, und die Beatles „The Fool on the Hill“ (Der Narr auf dem Berg): „Tag für Tag sitzt der Narr mit seinem Lächeln ganz still auf dem Berg. Aber niemand will mit ihm zu tun haben, weil sie in ihm nur den Narren sehen, der niemals eine Antwort gibt. Doch der Narr auf dem Berg sieht die Sonne untergehen und die Erde sich drehen …“
Karl Valentin – ein Narr wie ein ausgemergeltes Fragezeichen, dessen funkelnder Unsinn im Kreis der surrealen Komik, die von Christian Morgenstern bis Joachim Ringelnatz reicht, einen festen Platz hat. Denken wir auch an den Till und den Bajazz mit der Laterne aus dem früheren Mainzer Karneval. Narrenfreiheiten.
Wie sagte der Narr Hanns Dieter Hüsch: „Mal bin ich leise, mal bin ich laut. Mal bin ich Seele, mal bin ich Haut!“ Wir Niederrheiner haben – auch Jahre nach seinem Tod – noch immer einen Narren an ihm gefressen.
Am Narren scheiden sich die Geister. Wenn wir in ihm aber eine farbige Alternative gegen das Grau des Alltags, einen friedlichen Protest gegen einseitiges Leistungsdenken und gegen die Verpanzerung der Herzen sehen, zeigt er uns heitere AlterNarrtiven auf. Wer sich auf dem Weg zur Weisheit wähnt, kommt am Narrsein nicht vorbei.
„Wenn Selbstgefälligkeit obsiegt,
wenn Starr- und Dumpfheit walten,
dann kann der Narr – nebst Flötenton –
auch grobe Klötze spalten.“
(G.R.)
In herzlicher Verbundenheit
Georg Rupp